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Klagebefugnis eines Ortsbeirats zur Geltendmachung der Rechte einer eingemeindeten Gemeinde; Voraussetzungen für die Aufhebung der Ortsbezirksverfassung in Gebietsreformfällen

OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.11.1999 - Az.: 7 C 10881/99

Leitsätze:

1. Der Ortsbeirat eines Ortsbezirks, zu dem nach einer Eingemeindung eine ehemals selbständige Gemeinde geworden ist, ist befugt, Rechte der untergegangenen selbständigen Gemeinde aus dem Eingemeindungsverhältnis gerichtlich geltend zu machen. Steht gerade die Abschaffung der Ortsbezirksverfassung im Streit, so ist der bisherige Ortsbeirat auch noch nach Ablauf seiner Wahlperiode beteiligungsfähig. (Leitsatz des Herausgebers)

2. Die Bestimmung des § 15 Abs. 1 Nr. 3 des 14. Landesgesetzes über die Verwaltungsvereinfachung in Rheinland-Pfalz vom 1. März 1972 (GVBl. S. 127), die für das Gebiet durch Eingemindung untergehender Gemeinden die Bildung von Ortsbezirken vorsieht, gilt nicht nur für die Eingemeindung in kreisfreie Städte, sondern auch für die in andere Städte. (Leitsatz des Herausgebers)

3. § 15 Abs. 1 Nr. 3 des 14. Landesgesetzes über die Verwaltungsvereinfachung in Rheinland-Pfalz stellt nicht lediglich eine Übergangsregelung dar, sondern sieht die Ortsbezirksverfassung als bleibendes Strukturelement vor, ohne ihnen eine Ewigkeitsgarantie einzuräumen. Die Aufhebung der Ortsbezirksverfassung für eingemeindete Gebietsteile ist den Gemeinden damit nicht allgemein verboten, sie hat bei ihrer Entscheidung aber von der seinerzeit vom Gesetzgeber getroffenen Abwägung auszugehen, dass es sowohl der engeren kommunalen Gemeinschaft des Ortsbezirks wie auch der Integration der eingemeindeten Gebietsteile in die größere Gemeinschaft förderlich sei, dass eine Ortsbezirksverfassung - und dies nicht etwa nur für eine Übergangsregelung - besteht. (Leitsatz des Herausgebers)

4. Entscheidend für die Frage nach der Beibehaltung oder Aufhebung der Ortsbezirksverfassung in Gebietsreformfällen ist, ob nach wie vor eine engere kommunale Gemeinschaft in dem Gebiet der ehemals selbständigen Gemeinde auszumachen ist. Dabei kann indizielle Bedeutung neben den siedlungsstrukturellen Voraussetzungen auch dem örtlichen Gemeinschafts- und Vereinsleben sowie der Bevölkerungsentwicklung wie auch der gesellschaftlichen Entwicklung zukommen. (Leitsatz des Herausgebers)

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Volltext

Tenor

Die Änderung der Hauptsatzung der Stadt Ingelheim vom 14. Juli 1998 (Auflösung des Ortsbezirks Großwinternheim) wird für nichtig erklärt.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger, der Ortsbeirat von Ingelheim-Großwinternheim, begehrt im Wege der Normenkontrolle die Feststellung der Nichtigkeit einer Änderung der Hauptsatzung der Stadt Ingelheim, mit der der Ortsbezirk zum Ende der am 1. Juli 1994 begonnenen Wahlperiode aufgelöst wird. Bei dem Ortsbezirk Ingelheim-Großwinternheim handelt es sich um die ehemalige Gemeinde Großwinternheim, die durch § 9 des 14. Landesgesetzes über die Verwaltungsvereinfachung in Rheinland-Pfalz vom 1. März 1972 zum 22. April 1972 in das Gebiet der Stadt Ingelheim eingemeindet worden ist. Vor der Eingemeindung (1970) hatte Großwinternheim 1.048 Einwohner, die Stadt Ingelheim 18.719 Einwohner. Zum Stichtag des 31. Dezember 1998 betrug die Einwohnerzahl des Ortsbezirks 1.289 Einwohner, die der Stadt Ingelheim insgesamt 24.494 Einwohner. Nachdem im Jahre 1970 die Zielplanvorstellungen des Ministeriums des Innern zu einer Einbeziehung der Gemeinde Großwinternheim im Rahmen der Verwaltungsreform in eine Verbandsgemeinde keine Zustimmung gefunden hatten, kam es nach Vorverhandlungen zum Abschluss eines Eingemeindungsvertrages vom 30. September 1970 zwischen der Gemeinde Großwinternheim und der Stadt Ingelheim. Neben der Pflicht der Stadt Ingelheim zur Schaffung und Aufrechterhaltung verschiedener Einrichtungen und Infrastrukturmaßnahmen war in dem Eingemeindungsvertrag in § 3 vorgesehen, dass für das Gebiet der Gemeinde Großwinternheim ein Ortsbezirk mit einem Ortsbeirat und einem Ortsvorsteher gemäß § 57 f. Gemeindeordnung gebildet werde.

Zum Abschluss des beantragten Verfahrens der freiwilligen Zusammenlegung bei der Bezirksregierung Neustadt kam es infolge der überholenden gesetzlichen Regelung nicht. § 15 Abs. 1 Nr. 3 des 14. Landesgesetzes zur Verwaltungsvereinfachung in Rheinland-Pfalz sieht für die Überleitung die entsprechende Geltung der Bestimmungen des 4. Landesgesetzes vor, u.a. des § 123 des 4. Landesgesetzes, wonach in den betreffenden Gemeinden für die eingegliederten Gemeinden ein Ortsbezirk nach den Bestimmungen der §§ 57 und 59 der Gemeindeordnung einzurichten ist.

Nachdem in der Vergangenheit verschiedentlich auch im Ortsbeirat die Frage erörtert worden war, wie lange der Ortsbeirat noch bestehen bleiben solle, weder von Seiten der Stadt noch des Ortsbeirates indessen konkrete Schritte zur Abschaffung eingeleitet worden waren, kam es Mitte des Jahres 1994 erneut zu einer Diskussion dieser Fragestellung. Innerhalb des Ortsbeirates war zuvor aus solchen Anlässen häufig darauf hingewiesen worden, dass es sinnvoll sei, den Ortsbeirat bestehen zu lassen, da noch Maßnahmen nach dem Eingemeindungsvertrag, z.B. ein Straßenausbau, anstehen würden. Von Seiten des Stadtrats und der Verwaltung wurde die Befürchtung laut, auch in den anderen Ortsteilen von Ingelheim - Ober-Ingelheim, Nieder-Ingelheim, Frei-Weinheim und Sporkenheim, die alle erst 1939 als ehemals selbständige Gemeinden zur Stadt Ingelheim zusammengefasst worden waren - könnte der Ruf nach der Einrichtung von Ortsbezirken laut werden, falls die Sonderstellung der ehemaligen Gemeinde Großwinternheim nicht beendet werde. In einer Beschlussvorlage für die Sitzung des Stadtrates am 15. August 1994 hieß es, nachdem mittlerweile alle umsetzbaren Verpflichtungen aus dem Eingemeindungsvertrag erfüllt seien, könne der Ortsbezirk Großwinternheim aufgelöst werden. Die Vorlage wurde indessen wieder zurückgezogen.

Nachdem Bestrebungen des Landesgesetzgebers bekannt geworden waren, die unmittelbare Wahl der Ortsbeiratsmitglieder und die Urwahl des Ortsvorstehers mit der Kommunalwahl 1999 am 13. Juni 1999 vorzusehen, verschaffte sich die Verwaltung der Stadt Ingelheim einen Überblick über die dadurch und die sonstige Aufgabenwahrnehmung der Ortsbeiräte entstehenden Kosten, insbesondere bei Einführung von Ortsbeiräten in sämtlichen Gemeindeteilen. Mit Blick darauf sowie die bisher geführte Aussprache empfahl der Haupt- und Finanzausschuss des Stadtrats der Stadt Ingelheim den Ortsbezirk Großwinternheim zum Ende der Wahlperiode 1994 bis 1999 aufzulösen. Als Gegenposition vertrat innerhalb des Ausschusses eine Minderheit die Auffassung, für das Fortbestehen des Ortsbezirks sprächen die räumliche Entfernung zur Stadtmitte, eine bürgernahe Verwaltungs- und Entscheidungspraxis sowie die Pflege der Gemeinschaft des Ortsbezirks durch den Ortsbeirat. Der Oberbürgermeister führte aus diesem Anlass zusammenfassend aus, dass er die weitere Existenz des Ortsbezirks inbesondere aus Gründen der fehlenden Gleichheit, des Aufwandes sowie aus einer Zäsur heraus (Abwicklung der Eingemeindung/Neues Wahlsystem) nicht für erforderlich halte.

In der Ortsbeiratssitzung vom 8. Juli 1998 wurde gerügt, dass das Thema nicht zuvor ins Gespräch gebracht worden sei, sondern bereits ein Beschluss des Haupt- und Finanzausschusses gefasst worden sei, ohne den Ortsbeirat anzuhören. Der Ortsvorsteher betonte in der Aussprache in Anwesenheit des Oberbürgermeisters der Stadt Ingelheim, dass Großwinternheim noch auf Jahre hin eine Sonderstellung in Ingelheim einnehmen werde, insbesondere aufgrund des fehlenden räumlichen Zusammenhangs sowie einem in sich geschlossenen Ortsleben. Es sei auch nicht ersichtlich, dass auch von der Bevölkerung in anderen Stadtteilen ein Ortsbeirat gewünscht werde. Der Ortsbeirat habe in den vergangenen Jahren vieles beraten, was von der Dimension her nicht in einem der städtischen Ausschüsse beraten worden wäre. Diese "Kleinigkeiten", die wesentlich zum Ortsbild und zum Ortsgeschehen beigetragen hätten, hätten aber aufgrund der Empfehlungen des Ortsbeirates schnell umgesetzt werden können. Kritik wurde auch gegenüber der von der Stadt geäußerten Auffassung laut, die Schaffung eines Ortsbezirks habe ihre Aufabe nur in der Begleitung der Erfüllung des Auseinandersetzungsvertrages. Der Ortsbezirk sei vielmehr wesentlicher Bestandteil des Eingemeindungsvertrages.

In der Beschlussvorlage für die Sitzung des Stadtrats am 13. Juli 1998 heißt es im Wesentlichen, nachdem alle Verpflichtungen aus dem Auseinandersetzungsvertrag erfüllt seien, könne der Ortsbezirk Großwinternheim nach einer Tätigkeitsdauer von nunmehr 27 Jahren aufgelöst werden.

Mit Satzungsbeschluss vom 13. Juli 1998 fasste der Stadtrat den Beschluss zur entsprechenden Änderung der Hauptsatzung mit 24 Ja-, 10 Nein-Stimmen und einer Enthaltung.

Im Wege der Normenkontrollklage hat der Kläger mit einem am 8. Mai 1999 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Satzungsänderung gestellt, nachdem ein Einwohnerantrag, der von 583 Unterschriften aus Großwinternheim gestützt worden war und die Erhaltung des Ortsbezirks vorsah, vom Stadtrat abgelehnt worden war. Zur Begründung des Normenkontrollantrags ist im Wesentlichen angeführt: Bei der Zustimmung der ehemals selbständigen Gemeinde Großwinternheim zur Eingemeindung sei die Errichtung eines Ortsbezirks von wesentlicher Bedeutung gewesen. Zwar seien die von der Stadt Ingelheim für die Eingemeindung angebotenen Bedingungen insgesamt finanziell sehr attraktiv gewesen; es habe aber auch die Alternative bestanden, selbständig zu bleiben und sich an eine Verbandsgemeinde angliedern zu lassen. Die Bildung eines Ortsbezirks sei eine typische Klausel in den entsprechenden Eingemeindungsverträgen gewesen. Über 25 Jahre hinweg habe der Ortsbeirat die spezifischen örtlichen Interessen formuliert, Mehrheitsbeschlüsse des Ortsbeirats seien im Wesentlichen vom Stadtrat sämtlich umgesetzt worden.

Die Auflösung des Ortsbezirks sei unvereinbar mit der Regelung im Eingemeindungsvertrag; auf § 74 Abs. 4 Satz 2 der Gemeindeordnung von 1974 könne sich der Stadtrat nicht berufen, wenn es auch in dieser Bestimmung heiße, dass mit In-Kraft-Treten dieses Gesetzes gesetzliche oder vertragliche Verpflichtungen zur Bildung von Ortsbezirken unwirksam würden. Die Bestimmung müsse indessen aus systematischen und verfassungsrechtlichen Gründen restriktiv ausgelegt werden. Eine vergleichbare Negierung von bestehenden Eingemeindungsverträgen und gesetzlichen Bindungen innerhalb der Verwaltungsvereinfachungsgesetze sei auch beim Rechtsvergleich mit Regelungen in den anderen Bundesländern einmalig. Die Auflösung widerspreche nämlich auch den gesetzlichen Anordnungen im 14. Landesgesetz zur Verwaltungsvereinfachung, das die entsprechende Anwendung der Übergangsbestimmung des 4. Landesgesetzes vorsehe, so u.a. § 123, der die Bildung von Ortsbezirken in den eingemeindeten Bereichen vorsähe. Die Motive für solche fortlaufend in der Verwaltungsvereinfachung vorzufindende Regelungen lägen darin, dass "die Bürgerschaft von Vorortgemeinden auch weiterhin eine Vertretung haben sollte, die nach ihren politischen Verhältnissen zusammengesetzt ist und die besonderen Belange der Vorortgemeinden erörtern und gegenüber der Gemeinde vertreten könne", wie der Berichterstatter des Ausschusses für Verwaltungsvereinfachung in der Sitzung vom 17. Dezember 1968 angeführt habe. Ein Eingriffsrecht des Gesetzgebers bestehe im vorliegenden Fall nicht, da eine gesetzliche Anordnung der Auflösung gar nicht erforderlich gewesen sei, sondern die Voraussetzungen für die Eingemeindung schon in dem Eingemeindungsverfahren nach dem Antrag an die Bezirksregierung auf der Grundlage des Eingemeindungsvertrages vorgelegen hätten (§ 10 Abs. 2, 10 Abs. 5 der Gemeindeordnung 1964). Deshalb müsse der Grundsatz der Vertragstreue weiterhin Beachtung finden, wie dies auch in den zu Zwecken des Rechtsvergleichs heranzuziehenden Bestimmungen anderer Länder der Fall sei; die Auflösung sei dort an qualifizierte Mehrheiten sowie weithin an die Zustimmung des betroffenen Ortsbeirats gebunden.

Auch die Handhabung der Folgen einer einvernehmlichen Eingemeindung - wie sie nach bestehendem Recht (§ 11 Abs. 1 Gemeindeordnung) möglich sei - nach den einschlägigen Verwaltungsvorschriften gehe dahin, dass die Dauerwirkung entsprechender Verträge ohne weiteres anerkannt werde. Die Beschränkung der Bildung von Ortsbezirken sei nach rheinland-pfälzischem Recht auch wenig sinnvoll, da in der Regel die die Selbständigkeit verlierende Gemeinde die Alternative habe, die Aufnahme in eine Verbandsgemeinde anzustreben. Die Zustimmung der Ortsgemeinde zur Bildung einer Einheitsgemeinde stehe bei der Beschränkung der Bildung von Ortsbezirken eher in Frage.

Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage liege hier nicht vor. Beiden Seiten könne hier ein Festhalten an der bisherigen Regelung ohne weiteres zugemutet werden. Viele vertragliche Pflichten aus dem Eingemeindungsvertrag seien im Übrigen auf Dauer angelegt. Großwinternheim werde auch auf Jahre hinaus noch eine Sonderstellung einnehmen, und zwar im Hinblick auf die besondere Siedlungsstruktur. Allein die allgemeine sozioökonomische Entwicklung und etwa der gestiegene Individualverkehr hätten dazu geführt, dass die Beziehungen der Einwohner stärker auf die Umgebung ausgerichtet seien als 1970, ohne dass sich etwa eine gesteigerte Präferenz nach Ingelheim feststellen ließe.

Da ein inhaltlicher Zusammenhang der Schaffung von Ortsbezirken mit der Auflösung der ehemals rechtlich selbständigen Gemeinden bestehe, sei der Inhalt des § 74 Abs. 4 Gemeindeordnung an den verfassungsrechtlichen Anforderungen zu messen, die für die Auflösung der Gemeinden Geltung beanspruchten. Auch die Lösung von den Bindungen des Eingemeindungsvertrages setze daher voraus, dass im Sinne dieser Rechtsprechung die Selbstbindung nach dem gesetzlichen Konzept Beachtung finde. Das Konzept sehe indessen vor, dass die Verwaltungsreform auch mit Hilfe der Bildung von Ortsbezirken habe gefördert werden sollen. Ohne Berücksichtigung der vertraglich gegenüber den Gemeinden eingegangenen Bindungen könne es zu Selbstwidersprüchen im gesetzlichen Konzept, insbesondere auch im Hinblick auf nach § 11 Gemeindeordnung mögliche künftige Eingemeindungen kommen.

Aus diesen Gründen wäre auch die Eingemeindung nach Ingelheim im Fall Großwinternheim wieder in Frage gestellt worden, wenn der Gemeinderat Großwinternheim gewusst hätte, dass auch die aus der Ortsbezirksverfassung sich ergebende mittelbare Einflussnahme nach einiger Zeit wieder hätte in Frage gestellt werden sollen. Die Bildung von Ortsbeiräten sei vom Gesetzgeber gerade vorgesehen worden, um das Interesse der Bürger und ihre Teilnahme an den Belangen der engeren Gemeinschaft zu erhalten und dem Prozess der Entfremdung bei Schaffung größerer Gemeinden entgegenzuwirken (Landtagsdrucksache 7/1884 S. 70). Juristisch hätten die Ortsbeiräte zwar lediglich ein Recht auf Anhörung, die öffentliche Diskussion in den Beiräten führe aber in der Regel dazu, dass Mehrheitsentscheidungen der Ortsbeiräte bei der Entscheidungsfindung im Stadtrat respektiert würden. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 74 Abs. 4 Gemeindeordnung müsse daher dazu führen, dass die eingegangenen Bindungen auch künftig nicht übergangen werden dürften. Die in einer Änderung des Kommunalwahlrechts (§ 57 Kommunalwahlgesetz) zum Ausdruck kommenden Bestrebungen (Gesetzesbegründung Drucksache 13/2306 S. 29), durch die Einführung der Urwahl des Ortsvorstehers und die unmittelbare Wahl der Ortsbeiräte die Mitwirkung der Bürger zu erweitern, spreche ebenfalls für eine solche restriktive Auslegung des § 74 Abs. 4 Gemeindeordnung. Mit den Regelungen solle nämlich auch der Überrepräsentation der einwohnerstarken Stadtteile vorgebeugt werden. Auch die hier entsprechend heranzuziehende Rechtsprechung von Verfassungsgerichten der Länder und des Bundesverfassungsgerichts zur Mehrfach-Neugliederung verbiete es, erst kürzlich getroffene Organisationsmaßnahmen zu korrigieren, wenn nicht eine Veränderung der Lage unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes dies gebietet.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass die Änderung der Hauptsatzung vom 14. Juli 1998 (Auflösung des Ortsbezirks Großwinternheim) nichtig ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Der Beschluss des Stadtrates stehe nicht im Widerspruch zur Rechtslage, insbesondere dem Eingemeindungsvertrag. Wegen der Ablehnung der Eingliederung in eine Verbandsgemeinde habe der Gemeinderat Großwinternheim seinerzeit konsequenterweise in Kauf genommen, dass nach der Eingliederung die Geschäfte des Dorfes allein und ausschließlich vom Stadtrat der Stadt Ingelheim wahrgenommen würden. Der Eingliederungsvertrag bestehe im Wesentlichen aus Verpflichtungen der Stadt Ingelheim; mit deren Erfüllung sei er im Wesentlichen erledigt. Aus § 3 Abs. 1 des Vertrages ergebe sich auch im Übrigen nur die Verpflichtung zur Bildung eines Ortsbezirks; der Bestimmung könne nicht entnommen werden, dass sich daraus auch die Pflicht zur Beibehaltung auf alle Zeiten hin ergebe. Dass auch der Ortsbeirat selbst sich dieser Situation bewusst gewesen sei, ergebe sich aus den fortlaufenden Diskussionen dieser Frage um das Weiterbestehen der Ortsbezirksverfassung. Letztlich sei die Auflösung nur deshalb zwischenzeitlich immer wieder zurückgestellt worden, weil noch nicht alle Verpflichtungen aus dem Vertrag vollständig erfüllt gewesen seien. Dementsprechend sei nunmehr die Geschäftsgrundlage für den Vertrag entfallen. Es könne auch nicht angehen, dass nach Ablauf eines Zeitraumes von mehr als 26 Jahren der Stadtrat noch immer in seinen Befugnissen aus § 74 Abs. 1 und 3 Gemeindeordnung beschränkt bleibe. Schließlich ergebe sich aus § 74 Abs. 4 der Gemeindeordnung 1974, dass die Vereinbarung in § 3 Abs. 1 des Eingemeindungsvertrages unwirksam geworden sei. Die Bestimmung sei auch verfassungskonform, da der Gesetzgeber das Recht beanspruchen dürfe, das Schicksal der betroffenen Gemeindeverfassung für die Zukunft zu regeln. An die Regelungen in anderen Bundesländern sei er insoweit nicht gebunden. Es bestehe auch kein Widerspruch zu anderen landesgesetzlichen Regelungen. Ausweislich der Gesetzesbegründung (Landtagsdrucksache 7/1884 S. 94) habe der Gemeinde die Möglichkeit gegeben werden sollen, frei von alten Bindungen allein nach verwaltungspolitischen und verwaltungsorganisatorischen Gesichtspunkten die Einteilung der Gemeinde in Ortsbezirke vorzunehmen. Eine Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts komme schon deswegen nicht in Betracht, da mit der Eingemeindung nach Ingelheim die ehemals selbständige Gemeinde Großwinternheim untergegangen sei. Der Sonderstatus von Großwinternheim habe nur für eine Übergangszeit der Erfüllung des Eingemeindungsvertrages aufrechterhalten werden können. Eine Ausdehnung der Ortsbezirksverfassung auch auf die übrigen Stadtteile verursache nicht unerhebliche Kosten und sei nicht erforderlich, da angesichts der Verhältnisse in Ingelheim eine Wahrung der Belange der Stadtteile durch den Stadtrat auch ohne Einrichtung einer Ortsbezirksverfassung möglich sei.

Selbst bei restriktiver Auslegung des § 74 Abs. 4 Gemeindeordnung könne es nicht angehen, dass bei der gebotenen Orientierung an verwaltungspolitischen und verwaltungsorganisatorischen Gesichtspunkten erneut dem ursprünglichen Eingemeindungsvertrag entscheidendes Gewicht beigemessen werde. Die Auflösung des Ortsbezirks sei vorliegend nicht ohne wesentliche Änderung der zugrunde liegenden Verhältnisse vorgenommen worden. Entscheidend sei insbesondere die besondere Struktur von Ingelheim, das erst 1939 durch die Zusammenlegung von ehemals selbständigen Gemeinden gebildet worden sei. Angesichts dessen könne sich der Ortsbeirat nicht darauf berufen, dass Großwinternheim auch lange Zeit nach Erfüllung des Eingemeindungsvertrages einen Sonderfall in der Gemeinde darstelle. Ein Siedlungszusammenhang fehle etwa auch im Hinblick auf die Stadtteile Frei-Weinheim und Sporkenheim. Großwinternheim unterscheide sich siedlungsmäßig, soziologisch und ökonomisch nicht erheblich von den übrigen Ingelheimer Stadtteilen. Die bisherigen Maßnahmen zeigten auch, dass die städtischen Gremien über den erforderlichen Überblick auch betreffend die Verhältnisse in Großwinternheim verfügt hätten. Es sei nicht vorstellbar, dass etwa ein späterer Zeitpunkt für die Abschaffung des Ortsbezirkes geeigneter sein könne.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses ist dem Verfahren beigetreten und äußert sich wie folgt: Die Bildung eines Ortsbezirks sei vorliegend sowohl in der Erfüllung des Eingemeindungsvertrages (§ 3) als auch durch die gesetzliche Regelung über die Eingemeindung (§§ 9, 15 Abs. 1 Nr. 3 des 14. Landesgesetzes i.V.m. § 123 des 4. Landesgesetzes) erfolgt. § 74 Abs. 4 Satz 2 der Gemeindeordnung 1974 sehe vor, dass mit In-Kraft-Treten des Gesetzes gesetzliche oder vertragliche Verpflichtungen zur Bildung von Ortsbezirken unwirksam würden. Soweit geltend gemacht werde, dass die Aufhebung des Ortsbezirks ohne Zustimmung des Ortsbeirats unwirksam sei, komme es entscheidend auf die Auslegung dieser Bestimmung an. Aus der Entstehungsgeschichte der Verwaltungsreformgesetze ergebe sich, dass für den Gesetzgeber wesentlich gewesen sei, dass in den angegliederten Gemeinden Ortsbezirke gebildet würden. Über die Entstehungsgeschichte des § 74 Abs. 4 selbst lägen nur sehr wenige Materialien vor. Das geltende Recht gebe dem Gemeinderat freie Hand bei der Bildung von Ortsbezirken, während etwa in anderen Landesrechten (Nordrhein-Westfalen) bei kreisfreien Städten die Einteilung des Stadtgebiets in Bezirke erfolgen müsse; bei der Vorläuferregelung in Rheinland- Pfalz, dem Selbstverwaltungsgesetz Teil A von 1954, sei dieses Institut der Ortsbezirksverfassung nur vorgesehen gewesen für große kreisfreie Städte - bei Bedarf auch andere Gemeinden - für die Vororte, die eine eigene örtliche Gemeinschaft bildeten. Demgegenüber sei die gesetzliche Regelung bei der Verwaltungsreform davon geleitet gewesen, dass die Organe des Ortsbezirks als Treuhänder der lokalen Interessen fungieren sollten, solange der kommunalpolitische und gesellschaftliche Prozess des Zusammenwachsens andauere. § 74 Abs. 4 Satz 2 Gemeindeordnung habe vor diesem Hintergrund die Funktion, Entscheidungsmöglichkeiten wiederzueröffnen. Eine Auslegung, die Auflösung sei ohne Zustimmung des Ortsbeirats nicht möglich, wie dies von dem Kläger vertreten werde, komme daher nicht in Betracht und würde letztlich Wortlaut und Geltung der Bestimmung in Frage stellen. § 15 des 14. Landesgesetzes könne deshalb zu Gunsten des Klägers keine Ewigkeitsgarantie beigemessen werden. Vielmehr sei die Bestimmung des § 74 Abs. 4 Satz 2 in Übereinstimmung mit dem Beschluss des Senats vom 5. Juni 1999 aus den aufgezeigten systematischen Gesichtspunkten so auszulegen, dass lediglich eine förmliche und absolute, auf unbestimmte Dauer angelegte Bindung sowohl an vertragliche wie auch gesetzliche Verpflichtungen abgelöst werden sollte, damit der jeweilige Gemeinderat in der Lage versetzt werde, die jeweils bestehenden Verhältnisse des Einzelfalls bei seiner Entscheidung im Rahmen des § 74 Abs. 1 Gemeindeordnung zu berücksichtigen. Der Gemeinderat sei umso freier, je weniger er entsprechende Besonderheiten der gemeindlichen Struktur vorfinde. Auch dem Zeitmoment könne eine erhebliche Bedeutung zukommen, ebenso dem Bestreben, etwaigen Erscheinungen der Desintegration entgegenzuwirken.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die vom Kläger angegriffene Änderung der Hauptsatzung, mit der die Ortsbezirksverfassung für den Ortsbezirk Ingelheim-Großwinternheim abgeschafft worden ist, erweist sich als rechtswidrig und nichtig.

1. Der Antrag ist nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 4 des Landesgesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO) zulässig. An der Antragsbefugnis des Ortsbeirats bestehen hier keine Zweifel. Er berühmt sich, letztlich in Vertretung der Rechte der untergegangenen selbständigen Gemeinde Großwinternheim gleichsam in Verlängerung von deren Selbstverwaltungsrecht eine ihr zustehende Befugnis zur Aufrechterhaltung des Status eines Ortsbezirks - wie er sich aus Vertragslage im Auseinandersetzungsvertrag sowie aus der gesetzlichen Regelung ergebe - zu wahren. Sollte ein solcher rechtlicher Zusammenhang bestehen - was eine Frage der Begründetheit des Antrags ist -, so steht die Verteidigung dieses Status dem zur Vertretung des Ortsbezirks berechtigten Ortsbeirat zu. Auch der Ablauf der Wahlperiode ändert daran nichts, weil sonst niemand die rechtlichen Belange des untergegangenen Ortsbezirks wahrnehmen könnte. Insoweit muss der alte Ortsbeirat noch als beteiligungsfähig angesehen werden (vgl. BayVGH, BayVBl. 1977, 434; BVerfGE 22, 221, 231; zum Streit um Eingemeindungsverträge z.B.: VGH Baden-Württemberg, DÖV 1979, 605; zur Auflösung von Vereinigungen: BVerwGE 1, 266). Es fehlt auch nicht an der Beteiligungsfähigkeit des Ortsbeirats als solchem im Verfahren der Normenkontrolle. Er ist nach den Ausführungen oben im Sinne des § 61 Nr. 2 VwGO als Vereinigung anzusehen, der die genannte Rechtsstellung zustehen kann, und bildet im Hinblick auf die streitige Frage der Abschaffung der Ortsbezirksverfassung gleichsam ein Kontrastorgan zu dem für die Entscheidung zuständigen Gemeinderat. Es ist auch im Rahmen des § 47 Abs. 2 VwGO anerkannt, dass der Wortlaut für die Zuerkennung der Antragsbefugnis erweiternd auszulegen ist, selbst wenn es dort heißt, dass der Antrag von jeder natürlichen oder juristischen Person gestellt werden kann, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Über die juristischen Personen im strengen Sinn hinaus ist die Antragsbefugnis auch denjenigen Organen zuzuerkennen, denen die Beteiligungsfähigkeit im Sinne des § 61 Nr. 2 VwGO zukommt (vgl. BayVGH, BayVBl. 1981, 720). Der Ortsbeirat ist darüber hinaus in der vorliegenden Fallkonstellation Sachwalter der untergegangenen selbständigen Gemeinde, der die Eigenschaft als juristische Person zukommt. Der Antrag ist innerhalb der vom Gesetz vorgesehenen Zweijahresfrist rechtzeitig gestellt worden.

2. Der Satzungsbeschluss des Stadtrates verstößt gegen § 74 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 der Gemeindeordnung vom 3. Dezember 1974 (GVBl. S. 578) in Verbindung mit den die Auflösung der ehemals selbständigen Gemeinde Großwinternheim vorsehenden Bestimmungen der §§ 9 und 15 Abs. 1 Nr. 3 des 14. Landesgesetzes über die Verwaltungsvereinfachung in Rheinland-Pfalz vom 1. März 1972 (GVBl. S. 127). § 15 Abs. 1 Nr. 3 des 14. Landesgesetzes sieht in entsprechender Anwendung der Bestimmung des § 123 des 4. Landesgesetzes zur Verwaltungsvereinfachung vom 10. Januar 1969 (GVBl. S. 5) die Bildung eines Ortsbezirks (§§ 57, 59 Gemeindeordnung) für das Gebiet der als Rechtssubjekt untergehenden Gemeinde vor. § 123 des 4. Landesgesetzes bezieht sich zwar entsprechend den dort geregelten Fällen auf die Eingemeindung in kreisfreie Städte. Der Senat kommt indessen ebenso wie der Vertreter des öffentlichen Interesses in seiner Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass die ohne weitere Einschränkung im 14. Landesgesetz vorgesehene Bezugnahme auf diese Regelung die Verpflichtung zur Bildung von Ortsbezirken auch bei den hier angesprochenen Fällen der Eingemeindung in sonstige Städte vorsieht. Dies entspricht dem Sinn der gesetzlichen Regelung und der Praxis der Eingemeindungsregelungen; Zweifel daran sind nicht laut geworden. In der Gesetzesbegründung heißt es insoweit zu § 15 des 14. Landesgesetzes, dass auf die bewährten Regelungen im 4. Landesgesetz zurückgegriffen werden solle. Eine Einschränkung dem Gegenstand nach ist nicht erkennbar.

Angesichts dieser gesetzlichen Regelung kommt der Frage der Wirkung des § 3 des Eingemeindungsvertrages vom 30. September 1970 keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Zwar hat der Vertrag durch die Genehmigung der Kreisverwaltung Mainz-Bingen als Auseinandersetzungsvertrag auf der Grundlage des § 14 des 14. Landesgesetzes Wirksamkeit erlangt; die in § 3 getroffene Regelung über die Einführung einer Ortsbezirksverfassung, der ursprünglich Bedeutung im Rahmen eines Zusammenschlusses auf freiwilliger Basis nach den Bestimmungen der Gemeindeordnung zukommen sollte, kann durch die überholende gesetzliche Entwicklung lediglich deklatorische Wirkung zukommen, nachdem die entsprechende Pflicht zur Schaffung des Ortsbezirks bereits Gegenstand der gesetzlichen Eingemeindungsregelung selbst geworden war. Für die Frage der Bindung des Gesetzgebers für künftige organisatorische Regelungen ergibt sich verfassungsrechtlich ohnehin kein Unterschied: Auch die vertragliche Regelung im Falle des freiwilligen Zusammenschlusses beruht in ihrer Anerkennung maßgeblich auf einem staatlichen Mitwirkungsakt, der Genehmigung der Aufsichtsbehörde, und ist mit einer autonomen Vereinbarung Privater nicht zu vergleichen. Denn der Gesetzgeber ist auch mit Blick auf solche Vereinbarungen nicht gehindert, für die Zukunft modifizierende Regelungen vorzusehen. Er muss dabei allerdings ebenso wie bei einer gesetzlichen Eingemeindung, die mit auf dem zustimmenden Willen der untergegangenen Gemeinden beruht, dem konsensualen Element der Regelung Rechnung tragen, indem er einen gewissen Vertrauensschutz berücksichtigt und die Anknüpfung an die sachlichen Gegebenheiten bei der Neugliederung nicht aus dem Auge verliert.

3. Die in § 123 des 4. Änderungsgesetzes vorgesehene Bildung von Ortsbezirken in den Eingemeindungsfällen ist durch die spätere Regelung in § 74 Abs. 4 der Gemeindeordnung 1974 nicht obsolet geworden. Zwar heißt es dort, dass die bei In-Kraft-Treten dieses Gesetzes vorhandenen Ortsbezirke in verbandsfreien Gemeinden und Ortsgemeinden bis zu einer anderweitigen Regelung durch die Hauptsatzung fortbestehen und mit In-Kraft-Treten dieses Gesetzes gesetzliche oder vertragliche Verpflichtungen zur Bildung von Ortsbezirken unwirksam werden. Darin ist aber lediglich grundsätzlich ein Wirksamwerden für die satzungsgebende Gewalt der Gemeinden geregelt, ohne dass sich daraus schon ergeben würde, dass der gemeindliche Satzungsgeber jeglicher inhaltlichen Bindung aus den vorangegangenen Vorgängen entledigt wäre. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss im Eilverfahren vom 15. Juni 1999, 7 B 10892/99.OVG, ausgeführt hat, erfordert der systematische Zusammenhang der Bestimmung mit den kurz zuvor ergangenen Eingliederungsgesetzen eine Einschränkung der sich aus der Bestimmung des § 74 Abs. 4 Gemeindeordnung 1974 ergebenden Rechtsfolgen. Der Senat hat in diesem Zusammenhang ausgeführt:

"...Es ist insoweit nicht zu verkennen, dass die Bildung von Ortsbezirken bei der Verwaltungsreform, insbesondere im Falle der Eingemeindung von Gemeinden in größere Städte, vielfach gesetzlich angeordnet wurde und die Funktion hatte, in einem gewissen Maße die Selbständigkeit des Ortsteils zu sichern und zu fördern sowie der Gefahr einer Majorisierung innerhalb der viel größeren Einheit zu begegnen. Darauf weist der Antrag in seiner Begründung unter Hinweis etwa auf die Materialien zu den Eingemeindungen im Rahmen des 4. Landesgesetzes zur Verwaltungsvereinfachung zu Recht hin....

Angesichts dieser Motivlage spricht einiges dafür, dass es sich nicht nur um die Funktion einer vorübergehenden Begleitung des Eingemeindungsvorgangs handeln sollte. Entsprechendes gilt für die Förderung späterer Eingemeindungen im Zusammenhang mit weiteren Verwaltungsneugliederungsgesetzen. Dies gilt insbesondere bei Sachverhalten, die dem der Eingemeindung in eine kreisfreie Stadt ähnlich sind.

Eine Rolle für die systematische Auslegung der Bestimmung wird auch der Umstand spielen müssen, dass bei der Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers zur Respektierung des verfassungsrechtlich gesicherten Selbstverwaltungsrechts der seinerzeit betroffenen Gemeinden (zu den materiell-rechtlichen Maßstäben vgl. insoweit: VGH Rheinland-Pfalz, AS 11, 73, insbesondere Leitsatz 2) die Voraussetzungen der Zustimmung nicht völlig unbeachtlich sein können. Nach der genannten Rechtsprechung setzt die Wahrung des Selbstverwaltungsrechts von einzugemeindenden Selbstverwaltungskörperschaften grundsätzlich eine Abwägung der verschiedenen Interessen - vor allem zur Ausfüllung des Gemeindwohlbegriffs - voraus (a.a.O., S. 102, 103). Die Zustimmung der Gemeinde kann dabei eine wesentliche Rolle spielen. Die Zustimmung ist aber - was auch bei der gesetzgeberischen Entscheidung zu würdigen war - leichter zu erlangen und die gesetzlichen Ziele erfahren eine Förderung, wenn nach einer Eingemeindung eine gewisse Selbständigkeit der eingegliederten Organisationseinheit verbleibt. Darin drücken sich der besondere Ortsteilcharakter und die spezifische Interessenlage aus. Der Senat verkennt zwar nicht, dass es Verhältnisse geben mag, in denen unabhängig von der Zustimmung der einzugemeindenden Selbstverwaltungskörperschaft vom gesetzlichen Konzept und den bestehenden Verhältnissen her eine Eingemeindung als im Sinne des Allgemeinwohls gerechtfertigt angesehen werden könnte. Er verkennt auch nicht den erheblichen Wertungsspielraum in diesem Zusammenhang, der dem Gesetzgeber zukommt und der bei einer gerichtlichen Entscheidung nicht weiter in Frage gestellt werden kann (vgl. VGH Rheinland-Pfalz, a.a.O.).

Dennoch erscheint die Annahme zweifelhaft, dass mit dem die Gemeindereform gleichsam abschließenden Gesetz zur Neufassung der Gemeindeordnung - im vorliegenden Fall nur etwa zwei Jahre nach der gesetzlichen Eingliederungsmaßnahme - die im vorliegenden Zusammenhang eingegangenen Bindungen als völlig unerheblich erklärt werden sollten."

4. Diese Überlegungen werden durch die vom Vertreter des öffentlichen Interesses im Einzelnen im Hauptsacheverfahren aufgezeigten Vorgänge zur Entstehungsgeschichte der Bestimmung gestützt. In dem Urantrag der Fraktionen der CDU, SPD und FDP zum 4. Landesgesetz, der die Eingemeindung ehemals selbständiger Gemeinden in kreisfreie Städte vorsah, fehlte zunächst in den Überleitungsvorschriften eine ausdrückliche Regelung der "Aufrechterhaltung" der ehemals selbständigen Gebietsteile als Ortsbezirke. § 182 Abs. 1 des Entwurfs (LT-Drs. VI, 698) sah lediglich in allgemeiner Form vor, dass die als Rechtsnachfolger bestimmten Gemeinden verpflichtet seien, das Gebiet der aufzulösenden Gemeinden so zu fördern, dass die Weiterentwicklung dieses Gebietes gewährleistet bleibt. In Absatz 2 war vorgesehen, dass Beschlüsse und Planungen in einem gewissen Maß auch in Zukunft weiter zu verfolgen und zu fördern seien, wenn sie nicht der Gesamtentwicklung der Gemeinde zuwiderliefen. Einzelheiten konnten in den in Absatz 3 der Bestimmung vorgesehenen Auseinandersetzungsverträgen geregelt werden.

In der Plenaraussprache zur Einbringung des Urantrages gehörte es zu den wesentlichen Überlegungen (stenographische Berichte der 6. Wahlperiode, S. 769-784), Entwicklungen vorzubeugen, in denen sich die eingemeindeten Ortsteile majorisiert sähen und eine Entwicklung wie bei früheren Eingemeindungsvorgängen etwa vor dem 2. Weltkrieg nähmen, als vielfach die im Vordergrund stehenden Belange der Kernstädte mit ihren vielfältigen Infrastrukturnotwendigkeiten eine Entwicklung der unselbständig gewordenen Vorortgebiete hinderten. So wies der Abgeordnete Hörter (a.a.O., S. 771), der insgesamt die Notwendigkeit der Verwaltungsreform betonte, auf die Nachteile hin, die noch vor dem Krieg eingemeindete, ehemals selbständige Gemeinden gegenüber den selbständig gebliebenen Gemeinden hätten hinnehmen müssen. Er führte in diesem Zusammenhang wörtlich aus:

"...quasi als Treuhänder soll das Land darüber wachen, dass die Verpflichtungen, die die Stadt gegenüber den kleineren Gemeinden, die eingemeindet werden, übernimmt, auch erfüllt werden. Das Land muss darüber wachen, dass die Stadt ihren Verpflichtungen und Versprechungen auch gerecht wird, damit wir den Bürger der kleinen Gemeinden beweisen, dass auch die Entwicklung ihrer Gemeinde nicht beendet ist mit dem Tag, an dem sie in eine Stadt überführt wird. Auch hier sind Möglichkeiten in unserem Selbstverwaltungsgesetz über Ortsbeiräte ausgewiesen, eine Frage, die verstärkt werden kann, die in unserem Lande ja sehr unterschiedlich in den Städten gehandhabt wird. Hier lässt sich meiner Meinung nach ein ganz vernünftiger Weg in der Zukunft finden, um diesen Gemeinden das Gefühl zu geben, mitzuentscheiden sowohl an der Gestaltung der Stadt als auch ihrer bisher selbständigen Gemeinde."

In dem Antrag des Ausschusses für Verwaltungsreform (Drs. VI, 698) findet sich dementsprechend erstmals die später Gesetz gewordene Bestimmung des § 123 (dort § 182) in den Überleitungsbestimmungen, wonach in einer durch die Bestimmungen des Gesetzes in eine andere Gemeinde eingemeindeten Gemeinde nach Maßgabe der §§ 57-59 Gemeindeordnung ein Ortsbezirk einzurichten ist. Der Berichterstatter, der Abgeordnete Mendling, hat dazu ausgeführt (Plenardebatte zur 2. und 3. Beratung des Gesetzentwurfes, 6. Wahlperiode, S. 1033, 1037)

"...dass auf diese Weise sichergestellt werden soll, dass die Bürgerschaft der zukünftigen Vorortgemeinden auch weiterhin eine Vertretung besitzt, die nach ihren politischen Verhältnissen zusammengesetzt ist und die besonderen Belange der Vorortgemeinde erörtern und gegenüber der Gemeinde vertreten kann."

Dem stimmten sämtliche Fraktionen im Wesentlichen zu. Der Abgeordnete Schmitt (a.a.O., 1038, 1041) hat ausgeführt, dass es "bei den Eingemeindungen im Bereich der kreisfreien Städte in aller Regel so gewesen sei, dass die Städte ihrerseits aufnahmebereit waren, die kleineren Gemeinden sich indessen ablehnend verhielten und dabei ein gewisser Majorisierungskomplex der kleineren sicher eine Rolle gespielt habe". Er hat abschließend zu den Überleitungsvorschriften des Gesetzes bemerkt, "diese standen von Anfang an unter der realen Bemühung, der Situation der aufgelösten Gemeinden auf die beste Art Rechnung zu tragen". Dazu zählte er die Maßnahme der "obligatorischen Beibehaltung von Ortsbezirken zur weiteren Gewährleistung eines gewissen - auch kommunalen - eigenständigen Lebens in den neuen Gebietsteilen". Auch der Abgeordnete Storch (a.a.O., S. 1045, 1046) hat ausgeführt, die in den Überleitungsvorschriften vorgesehenen Ortsbeiräte würden eine Möglichkeit sein, die lokalen Verhältnisse in demokratischer Weise zu entscheiden. Besonders deutlich hat der Abgeordnete Backes (a.a.O., S. 1048, 1049) die Motive der Regelung für seine Fraktion dahin zusammengefasst, "...dass für seine Fraktion wichtig war, dass in diesem Gesetz eine Bestimmung ihren Niederschlag gefunden habe, wonach in den eingegliederten Gemeinden nach Maßgabe der Gemeindeordnung Ortsbezirke einzurichten seien. Aus den Ausschussberatungen, den Anhörungen und der Diskussion in den Gemeinden wisse man, welch große Bedeutung dieser Einrichtung beigemessen werde".

Aus der Entstehungsgeschichte geht damit eindeutig hervor, dass die Ortsbeiräte als bleibendes Strukturelement zur Sicherung eines gewissen eigenständigen Gemeinschaftslebens in den ehemalig selbständigen Gemeinden vorgesehen waren, nicht aber lediglich als Treuhänder und Kontrollorgan für die verhältnismäßig kurze Zeit der Erfüllung konkreter Vereinbarungen aus den Auseinandersetzungsverträgen. Andererseits war ihnen damit aber auch keine Ewigkeitsgarantie eingeräumt, insbesondere nicht in Fällen, in denen bereits die der Eingemeindung zugrunde liegenden Motive - etwa die sogenannte Stadt-Umland Problematik - darauf hindeuten konnten, dass wegen der zunehmenden Verflechtungen zwischen Kernstadt und Vorort das Gefühl eines selbständigen Gemeinschaftslebens in absehbarer Zeit zum Erliegen kommen werde.

5. Angesichts dieser Ausgangslage kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, mit der nur kurze Zeit danach verabschiedeten Bestimmung des § 74 Abs. 4 der Gemeindeordnung 1974 hätten diese Überlegungen unterlaufen werden sollen. Dafür geben auch die in das Verfahren eingeführten, auch nach Auffassung des Vertreters des öffentlichen Interesses verhältnismäßig wenig aussagekräftigen Materialien zur Entstehungsgeschichte der Bestimmung kaum etwas her. Zwar heißt es in dem Entwurf der Landesregierung für eine Gemeindeordnung für Rheinland- Pfalz (LT-Drs. 7/1884 vom 04.06.1973, S. 94) zu der entsprechenden Bestimmung im Entwurf (§ 74 Abs. 5 Satz 2), dass "die gesetzliche Beendigung bestehender Verpflichtungen zur Errichtung von Ortsbezirken den Gemeinden die Möglichkeit geben solle, frei von alten Bindungen allein nach verwaltungspolitischen und verwaltungsorganisatorischen Gesichtspunkten die Einteilung der Gemeinden in Ortsbezirke vorzunehmen". Die Behandlung des Gesetzentwurfs im federführenden Innenausschuss ergibt keine erheblichen Erkenntnisse über die Motive. Dass die Bestimmung indessen nicht als völlige Abkehr von den Grundsätzen der Verwaltungsreform verstanden wurde, geht aus einem Beitrag des Abgeordneten Thorwirth hervor, der - ohne insoweit etwa von einem Änderungsbedarf auszugehen - äußerte, dass es nicht angehe, in den Eingemeindungsverträgen eingegangene Verpflichtungen zurückzunehmen (Einzelberatung der §§ 64-133 in der 27. Sitzung des Innenausschusses vom 24.10.1973, Protokoll S. 24). Die Bemerkung bezog sich ausdrücklich nur auf den Bestand von Ortsverwaltungen, setzt indessen voraus, dass erst recht die Vorstellung bestand, die Verpflichtung zur Erhaltung der Ortsbezirksverfassung als solche könne nicht ohne weiteres in Frage gestellt sein. Entscheidend kommt es vorliegend daher auf den verfassungssystematischen Zusammenhang der Regelung an: Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Gemeindereform (grundlegend s. VGH Rheinland-Pfalz, AS 11, 73 f., 101) gehört zum Inhalt der gemeindlichen Selbstverwaltung, dass legislative Eingriffe in den Bestand der Gemeinden unter dem Vorbehalt des Gemeinwohls stehen und von der Einhaltung sowohl der gebotenen Anhörung der Gemeinde wie auch bestimmter materieller Voraussetzungen abhängig sind. Die Aufgabe des Gesetzgebers, darüber zu befinden, ob eine Gemeinde aufgelöst und in eine andere Gemeinde eingegliedert wird, setzt regelmäßig eine Abwägung verschiedener Interessen - vor allem zur Ausfüllung des Gemeinwohlerfordernisses - voraus. Eine solche Abwägung kann grundsätzlich nicht ohne Beteiligung der Betroffenen vorgenommen werden. Die betroffenen Gemeinden sollen so auf den Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens und seinen Ausgang Einfluss nehmen können. Bei dieser Zielsetzung der Beteiligung der Gemeinden und der Bedeutung, die ein etwaiges Einvernehmen auf der Grundlage gewisser Bedingungen für die Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers hat, kann es nicht angehen, die Grundlagen dieser Abwägungsentscheidung, zu der nach den aufgezeigten Materialien auch und insbesondere das Weiterleben der konkreten Gemeinschaften in der Form des Ortsbezirks gehören sollte, durch eine kurz danach einsetzende anderweitige gesetzgeberische Entscheidung zu unterlaufen. Dies verbietet sich auch vor dem Hintergrund des von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung in diesem Zusammenhang aufgestellten Grundsatzes, dass der Gesetzgeber bei allem Beurteilungsspielraum, der ihm eingeräumt ist, durch die von ihm selbst vorgegebenen Maßstäbe und Systemvoraussetzungen in gewisser Hinsicht gebunden ist (VGH Rheinland-Pfalz, a.a.O., S. 96). Dementsprechend sichert die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung auch eine gewisse Beständigkeit von Neugliederungsmaßnahmen, indem sie verbietet, erst kürzlich getroffene Organisationsmaßnahmen ohne zwingende Gründe unter Berücksichtigung des in den Bestand der Neuregelung gesetzten Vertrauens wieder zurückzunehmen (vgl. BVerfG, DVBl. 92, 960; VGH NW, DVBl. 1976, 391 f., dazu Stüer, DVBl. 1977, 1 f.). War eine maßgebliche Leitlinie bei der Eingliederung von kleineren Gemeinden in große Städte zur Abmilderung der Majorisierungsängste und zur Erhaltung eines gewissen Interesses der Bürger an der engeren örtlichen Gemeinschaft die Schaffung von Ortsbezirken, so konnte es nicht angehen, nur kurze Zeit danach die Grundbedingungen der gesetzgeberischen Abwägung außer Acht zu lassen.

6. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 15. Juni 1999 ausgeführt hat, kann damit der Regelung in § 74 Abs. 4 Gemeindeordnung lediglich die Bedeutung beigemessen werden, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf die genannten gesetzlichen und vertraglichen Altenregelungen zur Bildung von Ortsbezirken eine förmlich und absolute - auch auf unbestimmte Dauer angelegte - Bindung für den Satzungsgeber ablösen wollte. Damit sollte der jeweilige Ortsgesetzgeber aufgerufen sein, die jeweils bestehenden Verhältnisse des Einzelfalls bei seiner Entscheidung im Rahmen des § 74 Abs. 1 Gemeindeordnung zu berücksichtigen. Nach dieser Bestimmung können die Gemeinden ihr Gebiet in Ortsbezirke einteilen, "um das örtliche Gemeinschaftsleben zu fördern". Bei der Ausfüllung des Begriffs der "Förderung des örtlichen Gemeinschaftslebens" hat der Gemeinderat an die Abwägung des Neugliederungsgesetzgebers anzuknüpfen. Ein Gemeinderat ist um so freier, je weniger entsprechende Besonderheiten der gemeindlichen Struktur er vorfindet, etwa bei der Einteilung einer sowohl in räumlich- siedlungsstruktureller Hinsicht als auch hinsichtlich der Entstehungsgeschichte homogenen Gemeinde in Ortsbezirke. In den Begriff der "Förderung des Gemeinschaftslebens" lässt sich aber nicht einfügen, wenn im Zuge der Eingemeindung als sinnvoll erachtete Institutionen wie die Bildung von Ortsbezirken entgegen den ursprünglichen gesetzgeberischen Erwägungen ohne wesentliche Änderung der Verhältnisse zurückgenommen werden sollen.

Dem stimmt auch die Stellungnahme des Vertreters des öffentlichen Interesses - was die wesentlichen Erwägungen im Hinblick auf den Zusammenhang mit den Neugliederungsgesetzen angeht - zu. Die Grenzen der Auslegung von Rechtsvorschriften, wie sie sich nach Wortlaut und Bedeutungszusammenhang ergeben, bleiben vorliegend gewahrt. Eine völlige Bedeutungslosigkeit der Bestimmung - etwa im Hinblick auf vertragliche Bindungen -, wie dies der Kläger annehmen will, kann nicht zugelassen werden und würde über den möglichen Wortsinn hinausgehen. Davon abgesehen ergeben sich die Bindungen in inhaltlicher Hinsicht für den Satzungsgeber ohnehin ohne Rücksicht darauf, ob bei der Eingemeindung die konkrete Zustimmung der Gemeinde vorlag, ob diese ohne Zustimmung erfolgt ist, ob sie bloß auf gesetzlicher Grundlage beruht oder zusätzlich auf der Grundlage eines vorbereitend geschlossenen Eingemeindungsvertrages. Den Motiven des Gesetzgebers lässt sich in allen diesen Fällen entnehmen, dass ihm die Einrichtung von Ortsbezirken zur weiteren Förderung eines engeren örtlichen Gemeinschaftslebens angelegen war. Der wesentliche Regelungsgehalt des § 74 Abs. 4 besteht damit darin, dass der Gesetzgeber die Funktion der Abwägungsentscheidung im Einzelfall auf den örtlichen Satzungsgeber übertragen hat, ohne dass dieser etwa der Bindungen entledigt wäre, die sich aus der Gesetzgebungsgeschichte ergeben.

Bei der satzungsgeberischen Entscheidung hat der Ortsgesetzgeber daher im Falle der eingegliederten ehemals selbständigen Gemeinden von der seinerzeit vom Gesetzgeber getroffenen Abwägung auszugehen, dass es sowohl der engeren kommunalen Gemeinschaft des Ortsbezirks wie auch der Integration der eingemeindeten Gebietsteile in die größere Gemeinschaft förderlich sei, dass eine Ortsbezirksverfassung - und dies nicht etwa nur für eine Übergangsregelung - besteht. Der Gesetzgeber ist seinerzeit offenkundig nicht davon ausgegangen, das Bestehen einer Ortsbezirksverfassung könne einer Integration hinderlich sein, sodass sie allenfalls übergangsweise zu dulden wäre. Vielmehr hat er erkennbar auf die bestehende Struktur Rücksicht genommen und insbesondere auf das Vorhandensein einer engeren örtlichen Gemeinschaft in der ehemals selbständigen Gemeinde.

Damit ergibt sich schon in der Ausgangslage ein entscheidender Unterschied zu der sonstigen freien Entscheidung des Ortsgesetzgebers, ob und wie er sein Gemeingebiet etwa in Ortsbezirke einteilen will. Dass mit der Ortsbezirksverfassung für solche eingemeindeten Gebietsteile ein Hindernis für das Hineinwachsen in den größeren Zusammenhang bestehen würde, kann nicht angenommen werden; dies ergibt sich schon aus der Funktionsverschiedenheit der Aufgaben des Ortsbeirats und des Stadtrats. Abgesehen von den in Eingemeindungs- bzw. Auseinandersetzungsverträgen übernommenen konkreten Verpflichtungen für eine Übergangszeit unterliegt es der souveränen Haushaltsgestaltung des Gemeinderats, welche haushaltswirksamen Projekte und Maßnahmen in dem Ortsbezirk - unter Abstimmung mit den Gegebenheiten in sämtlichen Gemeindegebietsteilen - durchgeführt werden. Die engere örtliche Gemeinschaft im Ortsbezirk, wie sie vom Ortsbeirat repräsentiert wird, kann zwar im Wege gemeinschaftlicher Willensbildung entsprechende Projekte und Maßnahmen anregen, bildet insofern ein wesentliches Artikulationsorgan der engeren örtlichen Gemeinschaft, hat aber mangels Selbständigkeit als Kommune anders als die selbständig gebliebene Gemeinde insoweit keine letzte Entscheidungsmöglichkeit und Haushaltsbefugnis. Die Hauptfunktion ihrer besonderen Verfasstheit besteht darin, innerhalb des von der größeren Gemeinschaft zugestandenen Rahmens und unter Berücksichtigung der örtlichen Gemeinschaftsinteressen auf die Art und Weise der durchzuführenden Maßnahmen Einfluss zu nehmen. Insoweit ergänzen sich die Aufgabenstellungen sinnvoll; Ansätze für einen grundsätzlichen Funktionskonflikt sind insoweit kaum zu erkennen. Anders wäre dies allenfalls zu beurteilen, wenn ein Ortsbeirat unter Überschreitung seiner Kompetenzen etwa nachhaltig Bestrebungen fördern würde, die auf eine Desintegration hinauslaufen würden. In diesem Sinne lassen sich die Ausführungen des Abgeordneten Brix in der Innenausschusssitzung zur Beratung des § 74 der Gemeindeordnung verstehen, wenn es dort heißt (Protokoll der Sitzung vom 14.09.1973, S. 7), die vor drei Jahren durchgeführte Verwaltungsreform habe zum Ziel gehabt, Gemeinden in Städte zu integrieren. Das zu verabschiedende Gesetz dürfe keine Hindernisse dafür bieten, dass im Hinblick auf die Regelung der Ortsbeiräte die Zielsetzung in eine andere Richtung oder zu einer auseinandergehenden Entwicklung führe.

7. Die angegriffene Beschlussfassung des Stadtrates ist unter diesen Gesichtspunkten rechtsfehlerhaft und nichtig. Der Beschluss geht offenkundig von falschen rechtlichen Voraussetzungen aus und verfehlt damit eine im Rahmen des § 74 Abs. 1 in den hier angesprochenen Verwaltungsreformfällen aufgegebene Abwägung. In Anknüpfung an die Entscheidung des Neugliederungsgesetzgebers kann die Beibehaltung eines Ortsbezirkes nur dann nicht mehr zur Förderung des örtlichen Gemeinschaftslebens sinnvoll sein, wenn durch den zunehmenden Zeitablauf und die fortgeschrittene Entwicklung die seinerzeit vorgefundenen strukturellen Verhältnisse im Verhältnis der ehemals selbständigen Gemeinschaft zu der aufnehmenden Gemeinde nicht mehr bestehen. Dies ist etwa in den Fällen denkbar, wenn die Eingemeindung im sogenannten Stadt-Umland-Modell erfolgte und aufgrund der besonderen Verhältnisse im Stadt-Umland-Gebiet mit einem siedlungsstrukturellen "Aufgehen" der ehemals selbständigen Gemeinschaft zu rechnen war. Entscheidend ist, ob nach wie vor eine engere kommunale Gemeinschaft in dem Gebiet der ehemals selbständigen Gemeinde auszumachen ist. Dabei kann indizielle Bedeutung neben den siedlungsstrukturellen Voraussetzungen auch dem örtlichen Gemeinschafts- und Vereinsleben sowie der Bevölkerungsentwicklung wie auch der gesellschaftlichen Entwicklung zukommen (vgl. zu dem besonderen Stadt-Umland-Phänomen insbesondere auch: VGH Rheinland-Pfalz, a.a.O., S. 88, 98).

8. Diese entscheidenden Fragen hat der Stadtrat vorliegend auf der Grundlage seiner falschen rechtlichen Ausgangsüberlegungen erst gar nicht näher einer Untersuchung unterzogen. Auf die Frage, in welchem Maße ihm bei der Beurteilung des Sachverhalts ein Beurteilungs- und Bewertungsermessen zusteht, kommt es daher vorliegend entscheidend nicht einmal an. Für einen gewissen Beurteilungsspielraum spricht mit den Überlegungen des Vertreters des öffentlichen Interesses die Sachnähe der Gemeinde bei der Beantwortung der aufgeworfenen Fragen; das Gericht wird allerdings bei der Überprüfung der Konfliktfälle nicht außer Acht lassen können, dass die früher selbständige Gemeinschaft sich auf ihr eingeräumte Rechte beruft und der Stadtrat gleichsam in eigener Sache als Konfliktpartei entscheidet. Die Kontrollfunktion des Gerichts als neutraler Entscheidungsinstanz kann daher nicht allzu weit zurückgenommen werden.

Die damit aufgeworfenen Fragen bedürfen hier aber schon deshalb nicht der weiteren Vertiefung, weil die Entscheidung vorliegend von vornherein von einem offenkundigen Ausfall des Abwägungsermessens getragen ist. Dafür spricht die gesamte Entstehungsgeschichte der Bestimmung wie auch der klare Akteninhalt. Zum einen war die Diskussion in den städtischen Gremien von vornherein von der Auffassung geprägt, es handele sich bei der Ortsbezirksverfassung um ein Übergangsproblem, weil der Ortsbeirat seine Funktion lediglich in der Begleitung der Erfüllung des ursprünglich geschlossenen Eingemeindungsvertrages habe und diese Funktion darin erschöpft sei. Damit wurde grundlegend verkannt, dass der Gesetzgeber die Ortsbezirksverfassung wegen der bestehenden Strukturen zunächst auf Dauer eingeführt hatte, jedenfalls solange die entsprechenden Strukturen unterscheidbar blieben und ein spezifisches Gemeinschaftsgefühl für den engeren örtlichen Bereich feststellbar bleibt.

Des Weiteren war die Frage einer "Sonderbehandlung" des Ortsbezirks Ingelheim- Großwinternheim in einem falschen Sinne gestellt; selbst wenn auch in den 1939 zur Stadt Ingelheim zusammengefassten übrigen ehemals selbständigen Gemeindeteilen - wofür hier indessen ohnehin keine konkreten Anhaltspunkte angeführt sind - das Bedürfnis zur Profilierung eines engeren örtlichen Gemeinschaftsgefühls zu verzeichnen gewesen wäre, liegt rechtlich der maßgebende Unterschied gerade darin, dass die frühere Kommunalreform keine Vorkehrungen gegen die Gefahr der Majorisierung der engeren örtlichen Interessen getroffen hatte. Dies war bei der unter ganz anderen rechtlichen Voraussetzungen zustande gekommenen Eingemeindung von Großwinternheim in den 70er Jahren aber der Fall. Eine Notwendigkeit der rechtlichen Gleichbehandlung scheidet schon von daher von vornherein aus.

Schließlich stellt es kein im hier in Rede stehenden Zusammenhang sachlich vertretbares Argument für die Abschaffung des Ortsbezirks dar, dass mit der Novelle zum Kommunalwahlgesetz die direkte Wahl der Ortsbeiräte und die Urwahl des Ortsvorstehers vorgesehen sei und in der Zukunft der damit verbundene Aufwand nicht mehr zu vertreten sei. Eine solche Betrachtung verkehrt die Motive des Gesetzgebers des Kommunalwahlgesetzes geradezu ins Gegenteil, ging es diesem doch in erster Linie darum, die Vertretung der Interessen der engeren örtlichen Gemeinschaft noch überzeugender und wirksamer sicherzustellen.

Die maßgeblichen Erwägungen des Stadtrates ergeben sich zweifelsfrei aus der gesamten Entstehungsgeschichte der Entscheidung zur Hauptsatzungsänderung, insbesondere auch aus der Verwaltungsvorlage und den zusammenfassenden Erwägungen des Oberbürgermeisters in der vorbereitenden Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses.

Dass die Entscheidung nicht von den aufgezeigten mangelhaften Überlegungen geprägt gewesen wäre, kann sich auch nicht aus dem Ergebnis einer vom Vertreter der Beklagten angestrebten Beweisaufnahme ergeben. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag war abzulehnen, da er sich als zu unbestimmt, ungeeignet und zudem als unerheblich erweist (§ 244 StPO entsprechend; vgl. BVerwG, VerwRspr. 24, 413; OVG Münster, OVGE 36, 28). Der Sitzungsvertreter hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat den Antrag gestellt, den Vorsitzenden des Stadtrates, Herrn Oberbürgermeister G., als Zeugen dazu zu vernehmen, dass der Stadtrat über die in der Verwaltungsvorlage enthaltenen Gesichtspunkte hinaus Überlegungen über die Änderung der Hauptsatzung angestellt hat, die die Entscheidung rechtfertigen, insbesondere bezüglich der abgeschlossenen Integration des Stadtteils und in Bezug auf die nicht länger notwendige Beibehaltung unter dem Gesichtspunkt der Förderung des örtlichen Gemeinschaftslebens. Die durch die Beweiserhebung zu fördernden Tatsachen sind indem Antrag nicht hinreichend bestimmt aufgezeigt. Bei dem Begriff der "Überlegungen zur Rechtfertigung der Entscheidung" versteht sich dies von selbst. Auch soweit eine nähere Konkretisierung vorgenommen wird, reichen die Darlegungen nicht aus. Soweit der Stadtrat festgestellt haben soll, "dass die Integration des Stadtteils abgeschlossen ist", handelt es sich dabei um eine zusammenfassende Wertung, nicht aber um die Angabe der tatsächlichen Grundlagen einer solchen Erwägung, die allenfalls ausreichend für eine ermessensfehlerfreie Zusammenstellung des Abwägungsmaterials gewesen sein könnte. Vergleichbares gilt für die "nicht länger notwendige Beibehaltung unter dem Gesichtspunkt der Förderung des örtlichen Gemeinschaftslebens". Auch ohne Beweisaufnahme ergibt sich aus den Akten, dass der Stadtrat darunter den Aspekt fasst, dass bei den Verhältnissen in Ingelheim es auch dem Stadtrat selbst möglich sei, die Verhältnisse in dem Ortsbezirk hinreichend zu erfassen. Dies sagt nichts über die vorliegend maßgebliche Frage, welche strukturellen Verhältnisse sich in dem Ortsbezirk vorfinden lassen und ob die engere örtliche Gemeinschaft, die den Neuregelungsgesetzgeber ursprünglich zu der Einführung der Ortsbezirksverfassung bewogen hat, noch besteht.

Das Beweismittel ist im Übrigen auch ungeeignet, weil die Begründung für eine Ratsentscheidung in erster Linie aus den schriftlichen Unterlagen, den Sitzungsprotokollen und der Bezugnahme auf die vorbereitenden Vorlagen enthalten ist, es allenfalls in eng umgrenzten Zweifelsfällen in Betracht kommt, nämlich soweit eine weitere Ausdeutung möglich ist, mit Hilfe von Zeugenaussagen Beteiligter den wesentlichen Sachverhalt näher aufzuklären. An diesen Voraussetzungen fehlt es hier ersichtlich. Die Beweiserhebung ist schließlich unerheblich, weil auch entsprechende Zusatzerwägungen an der Fehlerhaftigkeit der Gesamtwillensbildung nichts zu ändern vermöchten, weil sich nicht erweisen ließe, welche Erwägungen in dem Motivbündel die ausschlaggebende Rolle gespielt haben und insbesondere, ob nicht gerade die rechtsfehlerhaften Erwägungen die Entscheidung maßgeblich dirigiert haben.

9. Lediglich zur Abrundung bemerkt der Senat, dass im vorliegenden Einzelfall auch in der Sache selbst erhebliche Anzeichen dafür sprechen können, dass auch auf fehlerfreier Erwägungsgrundlage die Voraussetzungen für die Abschaffung des Ortsbezirks nicht vorliegen; dafür spricht namentlich, dass der Ortsteil verhältnismäßig weit ab von der übrigen Siedlungsstruktur der Stadt liegt, dass keine Anzeichen dafür vorhanden sind, dass im Sinne einer Stadt-Umland-Beziehung sich wechselseitig ergänzende Planungen und Maßnahmen - bezogen auf die Funktion von Ortsteil und Kernstadt - erfolgt sind, und schließlich, dass erhebliche Anzeichen im gesellschaftlichen Leben und dem Vereinsleben für ein Weiterbestehen des engeren Gemeinschaftsgefühls sprechen, worauf nicht zuletzt auch die Abstimmungsbeteiligung hinweist. Allein der Umstand, dass anders als noch zu Anfang der 70er Jahre allgemein dörfliche Gemeinschaften sich verändert haben und aufgrund der gewachsenen Mobilität und des Strukturwandels die räumlichen Beziehungen der Bewohner weiter ausgreifen, widerlegt dies nicht. Je deutlicher solche indiziellen Merkmale für das Fortbestehen der ursprünglichen Gegebenheiten sprechen, umso mehr ist der Satzungsgeber zur Legitimierung seiner Entscheidung gehalten, auf objektive und neutrale wissenschaftliche Untersuchungen in siedlungsstruktureller und soziologischer Hinsicht zurückzugreifen, um seine Abwägung zu untermauern. Die verfassungsrechtliche Einordnung der Bestimmungen des § 74 Abs. 4 und § 74 Abs. 1 Gemeindeordnung bedeuten im Übrigen nicht, dass selbst 30 Jahre nach der Gemeindereform der Gesetzgeber selbst gehindert wäre, durch eine erneute gesetzliche Regelung die Bindungen des Ortsgesetzgebers weiter zu lockern, als dies der Senat hier in systematischer Auslegung der seinerzeit erlassenen Bestimmungen der Gemeindeordnung 1974 angenommen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit wegen der Kosten auf § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO bezeichneten Art nicht vorliegen.