Allgemeines kommunalrechtliches Vertretungsverbot auch für Ortschaftsräte möglich
BVerwG, Beschluss vom 25.01.1988 - Az.: 7 B 12.88
Leitsätze:
Es verstößt nicht gegen Bundesrecht, wenn Landesrecht bestimmt, dass das kommunalrechtliche Vertretungsverbot auch für das Mitglied eines Ortschaftsrats in der Weise gilt, dass ihm die rechtsgeschäftliche Vertretung Dritter bei der Geltendmachung von Ansprüchen und Interessen gegenüber einer Gemeinde auch dann untersagt ist, wenn es sich nicht um ortschaftsbezogene Angelegenheiten handelt. (amtlicher Leitsatz)
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Volltext
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 10. November 1987 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 6 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger, Rechtsanwalt und Mitglied des Ortschaftsrats in einem Stadtteil der Beklagten, wendet sich gegen deren Bescheid, daß er wegen seiner Mitgliedschaft im Ortschaftsrat Ansprüche und Interessen eines anderen gegen die Beklagte nicht geltend machen dürfe. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg.
Gründe
Die Beschwerde, mit der der Kläger die Zulassung der Revision erstrebt, ist nicht begründet.
1.
Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache nicht zu (§
132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
a)
Die Beschwerde sieht eine grundsätzliche Bedeutung in der Frage, ob das kommunalrechtliche Vertretungsverbot in bezug auf das gesamte Gemeindegebiet und auf sämtliche Gemeindebürger auch Mitglieder eines Ortschaftsrats erfassen dürfe, obwohl die Mitwirkungsbefugnisse des Ortschaftsrats nur einen kleinen Teil der Gemeinde beträfen - hier nach dem Vortrag der Beschwerde rund 1 600 Bürger der Ortschaft gegenüber ca. 30 000 der Beklagten insgesamt; allenfalls in ortschaftsbezogenen Angelegenheiten könne das Vertretungsverbot ohne Verletzung insbesondere des Art.
12 Abs. 1 GG gültig sein. Grundsätzliche Fragen verbinden sich mit diesem Vorbringen nicht. Die Beschwerde verkennt nicht, daß die maßgebliche Vorschrift des § 17 Abs. 3 der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg (GemO) in der Fassung vom 3. Oktober 1983 (GBl. S. 577) dem irrevisiblen Landesrecht angehört, ihre Verletzung also nicht mit der Revision gerügt werden könnte und daher auch nicht zur Zulassung der Revision führen kann. Deswegen ist der beschließende Senat an die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs gebunden, die Regelung des § 17 Abs. 3 GemO erfasse auch Ortschaftsräte und habe für diese denselben "absoluten" Inhalt wie für Gemeinderäte, beziehe sich also auch auf nicht ortschaftsbezogene Angelegenheiten; die Hinweise der Beschwerde auf die Einführung der Ortschaftsverfassung erst im Jahre 1970 führen nicht auf bundesrechtliche Fragen, dies auch deswegen nicht, weil seit dem Gesetz vom 9. Juli 1974 (GBl. S. 237, 242) die Ortschaftsräte ausdrücklich in § 17 Abs. 3 Satz 3 GemO erwähnt sind, und zwar als Personen, bei denen die Voraussetzungen des auf die gesamte Gemeinde bezogenen Vertretungsverbots des Satzes 1 vorliegen können.
b)
Die Regelung des § 17 Abs. 3 GemO in der Auslegung des Berufungsgerichts verstößt entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht gegen Art.
12 GG, ohne daß dies in einem Revisionsverfahren geklärt werden müßte. Allerdings neigt der Senat entsprechend seinen gegenüber dem Bundesverfassungsgericht abgegebenen Äußerungen in mehreren Verfassungsbeschwerde-Verfahren (vgl.
BVerfGE 41, 231, 238 f.;
52, 42, 50 f.;
56, 99, 105 f.) zu der Annahme, daß § 17 Abs. 3 GemO den Schutzbereich des Art.
12 Abs. 1 GG berührt. Der Umstand, daß das Berufungsgericht im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine gegenteilige Auffassung vertritt und das Bundesverfassungsgericht neuerdings die Frage offengelassen hat. ob insoweit an seiner Auffassung festzuhalten sei (Beschluß der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Oktober 1987 -
2 BvR 674/84). rechtfertigt jedoch nicht die Zulassung der Revision. Denn § 17 Abs. 3 GemO in der Auslegung des Berufungsgerichts ist. soweit das in dieser Vorschrift enthaltene Vertretungsverbot als Berufsausübungsregelung anzusehen ist, durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Das kommunale Vertretungsverbot dient, auch soweit es bei Ortschaftsräten umfassend für das gesamte Gemeindegebiet und für alle Gemeindebürger gilt, der Wahrung vernünftiger Belange des allgemeinen Wohls. Es will nach der überzeugenden Wertung durch die Vorinstanzen sachfremde Einflüsse auf die Verwaltung fernhalten und das Vertrauen der Bürger zur Verwaltung erhalten. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs haben Ortschaftsräte aufgrund ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit zum Bürgermeister, zu den Gemeinderäten und zur Gemeindeverwaltung vielfältige Verbindungen sachlicher, politischer und persönlicher Art, die bei der Vertretung privater Ansprüche und Interessen Dritter gegenüber der Gemeinde einer unzulässigen Einflußnahme Raum geben und vor allem beim Bürger einen dahingehenden Anschein hervorrufen könnten; solche Gefahren bestehen nach der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Würdigung des Berufungsgerichts nicht nur dann, wenn ein Ortschaftsrat die rechtsgeschäftliche Vertretung Dritter in ortschaftsbezogenen Angelegenheiten übernimmt, sondern generell bei Ansprüchen und Interessen, die gegenüber der Gemeinde geltend gemacht werden (vgl. eine entsprechende Würdigung in dem erwähnten Kammerbeschluß des Bundesverfassungsgerichts zu dem immerhin vergleichbaren Fall der Entscheidung des beschließenden Senats vom 23. November 1983 - BVerwG
7 B 61.83 und 7 B 62.83 - in NJW 1984. 377). Was die Beschwerde dem entgegenhält, ist lediglich eine unterschiedliche Würdigung aufgrund eines teilweise abweichenden und deswegen in der Revisionsinstanz nicht zu berücksichtigenden Sachvortrages; damit werden grundsätzlich klärungsbedürftige Fragen des Bundesrechts nicht aufgezeigt.
Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in
BVerfGE 61, 68 läßt sich entgegen der Meinung der Beschwerde nichts Gegenteiliges herleiten; anders als in dem dort zu beurteilenden Fall, in dem ein Rechtsanwalt vom Vertretungsverbot betroffen war. der lediglich mit einem Ratsmitglied in einer Sozietät verbunden war, ist der Kläger hier selbst Mitglied des Ortschaftsrats.
c)
Der Eingriff in das Grundrecht des Klägers ist auch verhältnismäßig. Daß ein an einer aktiven Mitwirkung in der Gemeinde - und sei es auch nur in einem Teil der Gemeinde - interessierter Bürger persönliche Nachteile, die mit der Übernahme kommunaler Mandate und den hieraus erwachsenden besonderen Pflichten verbunden sind, in Kauf nehmen oder notfalls auf die Bewerbung um ein solches Amt verzichten muß, hält der Senat angesichts der das Vertretungsverbot rechtfertigenden Gründe für zumutbar: dies entspricht auch der Wertung des Bundesverfassungsgerichts in dem erwähnten Kammer-Beschluß für den immerhin vergleichbaren Fall eines Kreistagsabgeordneten. Allerdings kann ein relativ weitgehendes, auch die Ortschaftsräte für das gesamte Gemeindegebiet einbeziehendes Vertretungsverbot möglicherweise Angehörige freier Berufe, insbesondere Rechtsanwälte, von ehrenamtlicher Tätigkeit in kommunalen Organen in verfassungspolitisch unerwünschter Weise abschrecken und dadurch u.a. die ohnehin bestehende Überrepräsentanz des öffentlichen Dienstes in solchen Organen zusätzlich fördern; die Abwägung der damit verbundenen Probleme liegt jedoch im politischen Ermessen des Gesetzgebers; überdies muß dieser Gesichtspunkt als nicht grundrechtsrelevant außer Betracht bleiben.
2.
Ein Zulassungsgrund läßt sich weiter nicht herleiten aus dem Umstand, daß der Verwaltungsgerichtshof den Rechtsanwalt E., mit dem der Kläger in einer Sozietät verbunden ist, in Übereinstimmung mit der Beklagten bei dem Beschluß, der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegt, als befangen angesehen und deswegen seine Nichtmitwirkung an dem Beschluß als rechtens gebilligt hat. Grundsätzliche Bedeutung i.S.v. §
132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt den damit verbundenen Fragen schon deswegen nicht zu, weil es sich um Fragen des irrevisiblen Landesrechts handelt. Ein Verfahrensfehler ist dem Berufungsgericht dabei nicht unterlaufen; selbst wenn es sich bei Anwendung der Befangenheitsvorschrift geirrt haben sollte - wofür übrigens nichts spricht -, wäre dies ein Irrtum im Bereich des materiellen Rechts, mit dem sich ein Verfahrensfehler nicht begründen läßt.
Ebensowenig ergibt sich aus dem nach Meinung der Beschwerde fehlerhaften Erlaß des Widerspruchsbescheides ein Zulassungsgrund. Einen Mangel im berufungsgerichtlichen Verfahren bezeichnet die Beschwerde entgegen dem Erfordernis des §
132 Abs. 3 Satz 3 VwGO insoweit nicht. Wegen Grundsätzlichkeit kommt eine Zulassung ebenfalls nicht in Betracht, weil die Beschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hinsichtlich des angeblich fehlerhaften Erlasses des Widerspruchsbescheides nicht darlegt.