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Diese Entscheidung

Landesrechtliche Bindung des Hebesatzrechts an Ausschöfpung von Gebührenrahmen unzulässig

BVerwG, Urteil vom 11.06.1993 - Az.: 8 C 32.90

Leitsätze:
1. Das bundesrechtliche Hebesatzrecht der Gemeinden für die Gewerbesteuer gewährt dem Landesgesetzgeber keine Kompetenz, die Bemessung der Hebesätze an die Ausschöpfung des Gebührenrahmens für besondere Leistungen der Gemeinden zu binden. (amtlicher Leitsatz)

2. In welchem Ausmaß die Gemeinden zur Deckung ihres Finanzbedarfs ihre Steuerquellen heranziehen wollen, steht in ihrem Ermessen. (amtlicher Leitsatz)

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Volltext

Tatbestand

Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 10./21. Mai 1982 gegen die Klägerin eine Gewerbesteuervorauszahlung für das Jahr 1982 in Höhe von 828 DM fest. Die Klägerin, die dem Leistungsgebot entsprach, erhob Widerspruch und machte geltend: Die Gemeinde habe den bisherigen Gewerbesteuerhebesatz von 310 v.H. unter Verstoß gegen § 63 Abs. 2 GO NW auf 340 v.H. erhöht, da bei den Gebühren für die Abfallbeseitigung, die Abwasserbeseitigung, die Straßenreinigung und das Bestattungswesen erhebliche Kostenunterdeckungen bestünden. Der Beklagte wies den Widerspruch unter Hinweis auf den der Gemeinde zustehenden Entscheidungsspielraum als unbegründet zurück.

Die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Mit der Berufung hat die Klägerin die Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Vorauszahlungsbescheides begehrt, nachdem der Beklagte für den Vorauszahlungszeitraum einen endgültigen Gewerbesteuerbescheid erlassen hatte. Das Berufungsgericht hat unter Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung der Fortsetzungsfeststellungsklage durch Urteil vom 7. September 1989 (DÖV 1990, 615) mit der Begründung stattgegeben, die in der Haushaltssatzung der Gemeinde vorgenommene Erhöhung des Gewerbesteuerhebesatzes von 310 v.H. auf 340 v.H. verstoße mit der Folge der Nichtigkeit gegen § 63 Abs. 2 Nr. 1 GO NW. Die Gemeinde habe den ihr nach dem Kommunalabgabengesetz eröffneten Gebührenrahmen fehlerhaft nicht ausgeschöpft.

Gegen dieses Urteil, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird, richtet sich die vom Bundesverwaltungsgericht zugelassene Revision des Beklagten mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

Gründe

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt mit seiner entscheidungstragenden Auslegung des § 63 Abs. 2 Nr. 1 GO NW Bundesrecht (vgl. §§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die gebotene bundesrechtskonforme Auslegung dieser landesrechtlichen Vorschrift führt zur Wiederherstellung des die Klage abweisenden erstinstanzlichen Urteils (vgl. § 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO).

Die das angefochtene Urteil tragende Auslegung des § 63 Abs. 2 Nr. 1 GO NW ist mit dem Bundesrecht unvereinbar, weil der vom Berufungsgericht angenommene Gehalt dieser landesrechtlichen Norm durch die bundesrechtliche Ermächtigung der Länder zur Rechtssetzung auf dem zur konkurrierenden Gesetzgebung gehörenden Sachgebiet der Gewerbesteuer nicht gedeckt wird.

Die Gewerbesteuer unterliegt als Realsteuer der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG). Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG verpflichtet den die Gewerbesteuer regelnden Gesetzgeber, die Gemeinden zur Festsetzung der Hebesätze zu ermächtigen. Der Bund hat die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Gewerbesteuer in Anspruch genommen und in Erfüllung des bundesverfassungsrechtlichen Regelungsauftrages den Gemeinden gesetzlich das Recht zur Festsetzung der Hebesätze eingeräumt (§ 16 Abs. 1 GewStG). Eine Einschränkung des von ihm verliehenen Hebesatzrechts für die Gewerbesteuer bedarf einer bundesrechtlichen Grundlage (Art. 72 GG).

Freilich besteht die bundesverfassungsrechtliche Hebesatzgarantie nach Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG nur "im Rahmen der Gesetze". Das gemeindliche Hebesatzrecht muß sich deshalb "adäquate gesetzliche Beschränkungen gefallen lassen" (Beschluß vom 21. Januar 1991 - BVerwG 8 NB 1.90 - Buchholz 401.4 § 25 GrStG Nr. 1 S. 1). Der Gesetzesvorbehalt des Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG kann jedoch mit Blick auf die bundesverfassungsrechtliche Verteilung der Gesetzgebungskompetenz nicht dahin verstanden werden, daß den Ländern der landesrechtliche Zugriff auf die bundesrechtlich geregelte Gewerbesteuer - namentlich deren Hebesatz - erlaubt wäre. Im "Rahmen der Gesetze" bedeutet vielmehr nach Maßgabe der bestehenden Gesetzgebungsbefugnisse. Soweit der Bund von seiner Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch gemacht hat, ist für damit nicht in Einklang stehendes Landesrecht kein Raum mehr (Art. 31 GG). Das den Gemeinden unter Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz bundesrechtlich eingeräumte Hebesatzrecht kann mithin nur durch den Bundesgesetzgeber selbst oder mit seiner Ermächtigung landesrechtlich eingeschränkt werden.

Das wird durch § 16 Abs. 5 GewStG bestätigt, der eine solche Ermächtigung enthält. Danach bleibt dem Landesrecht jedoch lediglich vorbehalten zu regeln, erstens, in welchem Verhältnis die Hebesätze für die Grundsteuer A und B und für die Gewerbesteuer zueinander stehen müssen (Koppelungsvorschriften), zweitens, welche Höchstsätze nicht überschritten werden dürfen, und drittens, inwieweit mit Genehmigung der Gemeindeaufsichtsbehörde Ausnahmen zugelassen werden können. Diese gegenständlich begrenzte abschließende bundesrechtliche Ermächtigung deckt die Vorschrift des § 63 Abs. 2 Nr. 1 GO NW mit dem ihr im angefochtenen Urteil beigelegten Inhalt nicht. § 63 Abs. 2 Nr. 1 GO NW führt nämlich mit dem vom Berufungsgericht angenommenen Regelungsgehalt zu einer materiellen Einschränkung des gemeindlichen Hebesatzrechts. Die Vorschrift begrenzt in dieser Auslegung das Hebesatzrecht der Höhe nach. Denn das haushaltsrechtliche Subsidiaritätsgebot des § 63 Abs. 2 Nr. 1 GO NW zwingt die Gemeinde, wenn es so verstanden wird, nicht nur dazu, in erhöhtem Maße Einnahmen auf der Rechtsgrundlage des Kommunalabgabengesetzes zu erzielen. Es führt vielmehr zur Nichtigkeit der satzungsrechtlichen Hebesatzfestsetzung, wenn die Gemeinde die vorrangigen Einnahmequellen nach dem Kommunalabgabengesetz des Landes für Leistungsentgelte nicht in dem haushaltsrechtlich gebotenen Umfang ausgeschöpft hat, auch wenn jene Quellen den Finanzbedarf der Gemeinde nicht zu decken vermögen. Die Regelung des § 63 Abs. 2 Nr. 1 GO NW greift mit dieser ihr vom Oberverwaltungsgericht beigelegten Bedeutung und Tragweite in unzulässiger Weise in das bundesrechtlich gewährleistete Hebesatzrecht der Gemeinden ein. Die landesrechtliche Vorschrift wirkt sich nicht allein faktisch auf die Höhe der Gewerbesteuerhebesätze aus, was unter dem Blickwinkel der Gesetzgebungskompetenz hinzunehmen wäre (vgl. BVerfG, Beschluß vom 21. Mai 1968 - 2 BvL 2/61 - BVerfGE 23, 353 <372>). § 63 Abs. 2 Nr. 1 GO NW regelt vielmehr nach Auffassung des Berufungsgerichts - gegebenenfalls mit der Folge der Nichtigkeit des Ortsrechts - die bundesrechtlich vor dem Zugriff des Landesgesetzgebers geschützte Festsetzung des Gewerbesteuerhebesatzes (Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG, § 16 Abs. 1 GewStG).

Die landesrechtliche Vorschrift stellt mit dem ihr im angefochtenen Urteil beigelegten Inhalt namentlich keine zulässige Höchstsatzbestimmung im Sinne des § 16 Abs. 5 GewStG dar. Denn § 16 Abs. 5 GewStG ermächtigt - soweit hier von Interesse - die Länder lediglich zu regeln, "welche Höchstsätze nicht überschritten werden dürfen". Unter dem Begriff "Höchstsätze" kann nach Wortlaut und Sinnzusammenhang nur eine zahlenmäßige Begrenzung der Hebesätze verstanden werden. Eine mit der Sanktion der Nichtigkeit bewehrte landesrechtliche Koppelung der Bemessung des Hebesatzes an die Höhe der Einnahmen der Gemeinde fällt nicht darunter. Eine dahin gehende Auslegung des § 16 Abs. 5 GewStG verbietet sich nicht zuletzt mit Blick darauf, daß diese bundesrechtliche Ermächtigung Koppelungsvorschriften der Länder ausdrücklich nur für die Hebesätze der Grundsteuer und der Gewerbesteuer zuläßt. Sie bietet hingegen keine Grundlage für landesrechtliche Vorschriften darüber, in welchem Verhältnis der örtliche Hebesatz für die Gewerbesteuer zu den sonstigen Einnahmen der Gemeinde, insbesondere aus Leistungsentgelten, stehen muß.

Die bundesrechtskonforme Auslegung der vom Berufungsgericht unter Verletzung von Bundesrecht ausgelegten landesrechtlichen Vorschrift ist möglich und geboten: Bei der Beschaffung der zum Haushaltsausgleich erforderlichen Einnahmen bindet § 63 Abs. 2 Nr. 1 GO NW die Gemeinden haushaltsrechtlich zwar insofern, als auf Steuerquellen nur zurückgegriffen werden darf, soweit die sonstigen Einnahmen nicht zur Deckung des Haushalts ausreichen (Subsidiaritätsprinzip). Daraus läßt sich indessen kein einklagbarer Anspruch der Gewerbesteuerzahler auf Senkung der Hebesätze für die Gewerbesteuer herleiten. Denn die Gemeinden sind haushaltsrechtlich nicht verpflichtet, einen durch Erhöhung der Leistungsentgelte etwa gewonnenen finanziellen Spielraum gerade zu einer Senkung des Hebesatzes der Gewerbesteuer zu nutzen. In welchem Ausmaß sie zur Deckung ihres Finanzbedarfs aus den ihr zur Verfügung stehenden Steuerquellen schöpfen, bleibt vielmehr ihrem Ermessen überlassen.