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Kosten eines durch ein Kind ausgelösten Fehlalarms

VG Freiburg, Urteil vom 10.01.1996 - Az.: 1 K 1166/94

Leitsätze:

1. Löst ein Kind einen Fehlalarm der Feuerwehr aus, so kann nicht der Sorgeberechtigte zum Kostenersatz nach § 36 Abs. 3 FwG BW herangezogen werden. Eine entsprechende Anwendung von § 6 Abs. 2 PolG BW ist nicht zulässig. (Leitsatz des Herausgebers)

2. Der Sorgeberechtigte ist auch nicht verpflichtet, ein neunjähriges Kind dauernd zu beaufsichtigen. (Leitsatz des Herausgebers)

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Tatbestand

Am 12.5.1993 meldete ein Kind der Rettungsleitstelle telefonisch aus einer Telefonzelle einen Küchenbrand in der ...-Straße im Stadtgebiet der Beklagten. Die Rettungsleitstelle benachrichtigte die Freiwillige Feuerwehr ..., die mit einem Löschfahrzeug, einem Drehleiterfahrzeug und einem Rüstwagen mit insgesamt 17 Einsatzkräften ausrückte. Am Einsatzort stellte sich heraus, dass ein Fehlalarm vorlag.

Am 6.12.1993 benachrichtigte ein Kind die Rettungsleitstelle davon, dass die ...-Schule im Stadtgebiet brenne. Zu einem Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr kam es nicht, da sofort ermittelt wurde, dass es sich um einen Fehlalarm handelte. Mit einer Fangschaltung wurde herausgefunden, dass der Anruf vom Telefonanschluss des Klägers aus erfolgte. In den schriftlichen Berichten des PHM ..., der unmittelbar darauf die Wohnung des Klägers aufsuchte, heißt es: Der Sohn des Klägers habe sich alleine zu Hause aufgehalten. Er habe zugegeben, dass er einen Scherz gemacht habe. Von sich aus habe er weiter angegeben, bereits in der ersten Jahreshälfte 1993 einen Fehlalarm ausgelöst zu haben. Dabei habe er auf die ...-Straße Bezug genommen. Eine förmliche Vernehmung des Sohnes des Klägers erfolgte nicht. Mit Verfügung vom 20.1.1994 stellte die Staatsanwaltschaft das eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen den Sohn des Klägers ein, da dieser strafunmündig sei.

Bereits mit Bescheid vom 10.12.1993 forderte die Stadt den Kläger auf, für den Fehlalarm vom 12.5.1993 eine Gebühr von 1.000 DM zu zahlen. Hiergegen erhob der Kläger am 19.12.1993 Widerspruch, den das Landratsamt mit Widerspruchsbescheid vom 31.5.1994 zurückwies. Darin heißt es: Nach § 36 Abs. 3 FwG könnten die Träger der Gemeindefeuerwehren von demjenigen, der wider besseres Wissen oder infolge grob fahrlässiger Unkenntnis der Tatsachen die Feuerwehr alarmiere, Ersatz der Kosten verlangen. Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen sei unzweifelhaft, dass der Sohn des Klägers am 12.5.1993 einen Fehlalarm ausgelöst habe. Die Aussage des Sohnes des Klägers sei verwertbar, da das nichtförmliche Verwaltungsverfahren grundsätzlich keine Belehrungspflichten oder Aussageverweigerungsrechte kenne. Das Verhalten seines Sohnes sei dem Kläger zurechenbar. Dies folge aus einer analogen Anwendung des § 6 Abs. 2 PolG; danach sei auch derjenige verantwortlich, dem die Sorge für eine Person obliege, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet habe. Die Stadt habe den Kläger auch zu Recht aufgefordert, einen Betrag von 1.000 DM zu zahlen. Nach der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die Inanspruchnahme der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten sei für einen Fehlalarm eine Pauschale von 1.000 DM vorgesehen.

Gründe

Die Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10.12.1993 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamts vom 31.5.1994 sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheids kann allein § 36 Abs. 3 Nr. 1 FwG sein. § 36 Abs. 2 FwG ist bei einem Fehlalarm schon dem Wortlaut nach nicht einschlägig, da die Feuerwehr in diesem Fall keine Leistung im Sinne dieser Vorschrift erbringt. Auch die Systematik des § 36 FwG spricht dagegen, bei einem Fehlalarm § 36 Abs. 2 FwG anzuwenden, denn der Kostenersatz bei einem Fehlalarm ist speziell in § 36 Abs. 3 FwG geregelt. Hiernach kann der Träger der Gemeindefeuerwehr Ersatz der Kosten eines Feuerwehreinsatzes von demjenigen verlangen, der wider besseres Wissen oder grob fahrlässig die Feuerwehr alamiert.

Der Kläger selbst hat unstreitig keinen Fehlalarm ausgelöst. Die Beklagte möchte ihn allein deshalb in Anspruch nehmen, weil sein minderjähriger Sohn am 12.5.1993 einen Fehlalarm ausgelöst haben soll.

Entgegen der Ansicht der Beklagten kann der Kläger nicht wegen des Verhaltens seines Sohnes zum Feuerwehrkostenersatz gemäß § 36 Abs. 3 FwG herangezogen werden. Hierbei kann offenbleiben, ob der Sohn des Klägers am 12.5.1993 tatsächlich wider besseres Wissen die Feuerwehr alarmiert hat. Dafür spricht, dass er dies anlässlich des zweiten Fehlalarms vom 6.12.1993 gegenüber dem PHM ... eingeräumt hat. Diese Angabe wäre wohl im Verwaltungsverfahren selbst dann verwertbar, wenn sie - wie der Kläger meint - unter Verstoß gegen strafprozessuale Vorschriften zustandegekommen sein sollte, denn diese lassen sich nicht generell auf das grundsätzlich nichtförmliche Verwaltungsverfahren (vgl. § 10 LVwVfG) übertragen. Auch könnte es unzureichend sein, dass der Kläger gegenüber dem Gericht lediglich pauschal mit "Nichtwissen" bestreitet, dass sein Sohn den Fehlalarm ausgelöst hat.

Selbst wenn der Sohn des Klägers den Fehlalarm vom 12. Mai 1993 ausgelöst haben sollte, fehlt es an einer Feuerwehrkostenersatzpflicht des Klägers. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann § 6 Abs. 2 PolG - wonach auch der jeweils Sorgeberechtigte Verhaltensstörer ist, wenn eine Person unter 16 Jahren eine Störung der öffentlichen Sicherheit verursacht hat - im Rahmen des § 36 Abs. 3 FwG nicht entsprechend herangezogen werden. Es fehlt insoweit an einer unbeabsichtigten Regelungslücke. Bei der Regelung des § 36 FwG hat der Gesetzgeber die Frage der Verantwortlichkeit für das Handeln Minderjähriger offensichtlich gesehen. Dies zeigt § 36 Abs. 2 Nr. 1 FwG, der ausdrücklich auf § 6 Abs. 2 PolG verweist. Dass in § 36 Abs. 3 FwG ein solcher Verweis fehlt, lässt nur den Schluss zu, daß eine Haftung nach § 6 Abs. 2 PolizeiG im Falle des Fehlalarms gerade nicht begründet werden sollte.

Hinzu kommt, dass diese Unterscheidung auch in der Sache sinnvoll ist. Bei einem Fehlalarm ist die Situation vollkommen anders, als wenn die Feuerwehr eine Leistung i.S.v. § 36 Abs.2 FwG erbringt. Wenn die Feuerwehr eine Leistung erbringt, liegt in aller Regel eine Störung der öffentlichen Sicherheit vor, welche die Feuerwehr beseitigt. Dies legt es nahe, die Vorschriften des Polizeigesetzes über den Verhaltensstörer entsprechend anzuwenden, wie dies § 36 Abs. 2 FwG mit dem Verweis auf § 6 Abs. 2 und 3 PolG vorschreibt. Demgegenüber geht es bei dem Kostenersatz für einen Fehlalarm nicht um die Beseitigung einer Störung, sondern letztlich um eine Haftungsfrage. Dies verbietet es, die Vorschriften des Polizeirechts analog anzuwenden, eher ist im Rahmen des § 36 Abs. 3 FwG auf Vorschriften des allgemeinen Haftungsrechts zurückzugreifen.

Als Zurechnungsnorm für das Handeln Minderjähriger kommt deshalb höchstens § 832 BGB (analog) in Betracht (so auch Surwald, Feuerwehrgesetz für Bad.-Württ., Kommentar, 6. Auflage 1990, § 36 RN 23). Auch hiernach kann der Kläger nicht zum Feuerwehrkostenersatz herangezogen werden. Zwar ist nach § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB der Aufsichtspflichtige zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den ein Minderjähriger einem Dritten widerrechtlich zufügt. Gemäß § 832 Abs. 1 Satz 3 tritt eine Ersatzpflicht des Aufsichtspflichtigen jedoch dann nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt hat. Bei Kindern bestimmt sich das Maß der gebotenen Aufsicht sowohl nach dem Alter und dem Charakter des Kindes als auch nach der Vorhersehbarkeit des schädigenden Ereignisses (Thomas in Palandt, Kommentar zum BGB, 54. Auflage 1995, § 832 RN 8). Gemessen hieran hat der Kläger seine Aufsichtsplicht nicht verletzt. Die Pflicht, ein neunjähriges Kind dauernd zu beaufsichtigen, besteht nicht. Einem Kind dieses Alters darf der Aufenthalt im Freien gestattet werden, ohne dass die Eltern jederzeit eingreifen können (BGH, Urteil vom 10. Juli 1984, NJW 1984, 2574). Der Kläger musste zudem keine Maßnahmen ergreifen, um einen Fehlalarm durch seinen Sohn zu verhindern, denn erst anlässlich des am 6. Dezember 1993 ausgelösten zweiten Fehlalarms hat er im Nachhinein davon erfahren, dass sein damals neunjähriger Sohn bereits am 12. Mai 1993 einen Fehlalarm - um dessen Kosten es hier geht - ausgelöst hatte.

Selbst wenn dem Grunde nach ein Anspruch der Beklagten auf einen Feuerwehrkostenersatz gegen den Kläger bestünde, wäre der angefochtene Bescheid rechtswidrig. Es ist unzulässig, für den Fall einer Fehlalarmierung eine pauschale Gebühr zu erheben, die Beklagte müsste vielmehr die tatsächlich entstandenen Kosten detailliert nachweisen. § 36 Abs. 3 FwG erlaubt nur, die tatsächlich entstandenen Kosten eines Einsatzes geltend zu machen, die Erhebung einer Kostenpauschale widerspricht dieser Vorschrift (Surwald, ebd.).