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Eine Veranstaltung, auf der getanzt wird, ist noch lange keine Tanzveranstaltung

OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11.12.1991 - Az.: 22 A 858/91

Leitsätze:

1. Eine Tanzveranstaltung i.S. des § 2 Nr. 1 VStG Nordrhein-Westfalen liegt nur dann vor, wenn der inhaltliche Charakter der Veranstaltung für die Besucher erkennbar auf das Vergnügen am Tanz gerichtet ist. Dies ist im Einzelfall anhand objektiver, die tatsächliche Gestaltung und Durchführung der Veranstaltung prägender Kriterien festzustellen. (amtlicher Leitsatz)

2. Eine Musikveranstaltung wird regelmäßig nicht schon deshalb zu einer Tanzveranstaltung i.S. des § 2 Nr. 1 VStG NW, weil Besucher zur Musik auch tanzen. (amtlicher Leitsatz)

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Volltext

Tatbestand

I.

Die Klägerin veranstaltete am 15. und 16. Dezember 1989 in der Zeit von 20.00 Uhr bis 3.00 Uhr ein von ihr so bezeichnetes "Live-Konzert" in einer ca. 1.300 qm großen Mehrzweckhalle in. Sie erhob für die Veranstaltung ein Eintrittsgeld in Höhe von 10,-- DM. Während der Veranstaltung traten abwechselnd zwei von ihr bereits mehrfach engagierte "Bands" - die" "und die" "- auf, die im Rahmen einer "Bühnenshow" selbst- und fremdkomponierte Popmusik spielten. In der Halle war weder eine abgegrenzte oder markierte Tanzfläche noch eine Bestuhlung vorhanden. Weder vor noch während der Veranstaltung ist auf die Möglichkeit zum Tanz hingewiesen oder hierzu aufgefordert worden; es sind - vom Beklagten genehmigt - Speisen und Getränke abgegeben worden.

Nachdem eine Mitarbeiterin des Beklagten, die an der Veranstaltung teilgenommen hatte, vermerkt hatte, während der Veranstaltung sei "auch getanzt" worden, forderte der Beklagte die Klägerin - wie auch schon in einem früheren Schreiben - auf, Er hat geltend gemacht, es könne nicht darauf abgestellt werden, ob maßgeblicher Zweck der Veranstaltung der Tanz sei. Diese Begriffsbestimmung sei unklar und lasse befürchten, daß selbst traditionelle Tanzveranstaltungen wie der "Tanz in den Mai" künftig bei entsprechender Organisation als steuerfreie Veranstaltung bewertet werden müßten. (Hierzu reiche es dann nämlich aus, wenn es in der Ankündigung heiße, "Konzert in den Mai", Sitzgelegenheiten nicht vorhanden seien, eine abgegrenzte Tanzfläche nicht angeboten werde und möglichst Live-Musik präsentiert werde.)

Das Verwaltungsgericht hat der Klage nach Beweiserhebung durch das angefochtene Urteil, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, stattgegeben.

Mit der rechtzeitig eingelegten Berufung macht der Beklagte erneut geltend, für eine enge Auslegung des Begriffes "Tanzveranstaltung" dahin, daß der Tanz maßgeblicher Zweck der Veranstaltung sein müsse, finde sich im Gesetz keine Stütze. Als Vergnügung iSd § 2 VStG Nordrhein-Westfalensei der Gegenstand oder Vorgang anzusehen, der objektiv geeignet sei, bei den Teilnehmern der Veranstaltung Vergnügen hervorzurufen, wobei es auf das subjektive Empfinden nicht ankomme. Danach solle das Vergnügen "Tanz" besteuert werden, unabhängig davon, wie die Veranstaltung bezeichnet werde. Eine Veranstaltung sei danach dann als Tanzveranstaltung anzusehen, wenn die Möglichkeit des Tanzes bestehe und von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werde. Diese Voraussetzungen seien nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erfüllt. Es sei unerheblich, ob die Tanzvergnügung in den Rahmen einer weitergehenden Veranstaltung eingebettet sei, die vergnügungssteuerfreie Elemente enthalte. Auf eine entsprechende Differenzierung zwischen Haupt- und Nebenzweck komme es nicht an. Eine Tanzveranstaltung im Sinne des VStG Nordrhein-Westfalensetze auch nicht bestimmte Organisationsmerkmale, wie Sitzgelegenheiten oder eine abgegrenzte Tanzfläche, voraus. Solche Rahmenbedingungen seien in heutiger Zeit keineswegs mehr typisch für Tanzvergnügungen. Tanzveranstaltungen würden heute vor allem für jüngere Leute auch ohne derartige Organisationsmerkmale z. B. bei "Scheunenbällen und Zeltfeten", durchgeführt. die Anmeldung zur Vergnügungssteuer nachzuholen und die Anzahl der Besucher mitzuteilen. Er wies zugleich darauf hin, daß er die Besteuerungsgrundlagen schätzen und die Steuer entsprechend festsetzen werde, wenn keine Angaben gemacht würden. Die Klägerin reagierte hierauf nicht.

Daraufhin zog der Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 8. Januar 1990 zur Vergnügungssteuer in Höhe von insgesamt 2.500,-- DM heran. Er hatte der Berechnung 1.000 verkaufte Karten bei einem Eintrittspreis von 10,-- DM pro Karte und einem Steuersatz von 20 % zugrundegelegt und einen Steuerzuschlag wegen Nichtanmeldung der Veranstaltung in Höhe von 500,-- DM festgesetzt.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, sie habe nicht eine Tanzveranstaltung, sondern ein "Live-Konzert" durchgeführt. Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 1990 zurück.

Mit der rechtzeitig erhobenen Klage hat die Klägerin ihre Auffassung vertieft, bei der Veranstaltung im Dezember 1989 habe es sich nicht um eine Tanzveranstaltung, sondern um ein "Live-Konzert" gehandelt. Der Begriff "Tanzveranstaltung" sei nach objektiven Merkmalen zu bestimmen. Der Charakter einer Veranstaltung werde durch deren Ausgestaltung und Ablauf geprägt. Das Konzert, an dem ca. 1.800 Besucher teilgenommen hätten, habe ebensogut als "Open-Air-Konzert" durchgeführt werden können; die Rahmenbedingungen für eine Tanzveranstaltung hätten nicht vorgelegen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Vergnügungssteuerbescheid vom 8. Januar 1990 in der Gestalt des

Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 1990 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und vertieft ihre Auffassung, daß der Zweck einer Veranstaltung anhand objektiver Merkmale zu ermitteln sei, wie sie sich aus den Verhaltensweisen des Veranstalters, z. B. den Werbemaßnahmen, der Organisation und dem Ablauf der Veranstaltung ergäben. Hiernach habe es sich bei der Veranstaltung am 15. Dezember nicht um eine Tanzveranstaltung sondern um ein "Live-Konzert" gehandelt, bei dem die Darbietung der Musik im Vordergrund gestanden habe; dem habe auch die Aufmachung und Gestaltung der Halle entsprochen. Wenn Zuschauer und Zuhörer sich rhythmisch zur Musik bewegt hätten, sei dies nicht von ihr animiert worden und entziehe sich ihrem Zugriff.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst Beiakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Gründe

II.

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der angefochtene Vergnügungssteuerbescheid ist aufzuheben, weil er rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ).

Das von der Klägerin am 15. und 16. Dezember 1989 veranstaltete "Live-Konzert" unterliegt nicht der - hier allein streitigen - Besteuerung nach § 2 Nr. 1 VStG Nordrhein-Westfalenvom 14. Dezember 1965 (GV Nordrhein-WestfalenS. 361) in der Fassung des Gesetzes vom 14. Juli 1988 (GV Nordrhein-WestfalenS. 216).

Nach § 2 Nr. 1 VStG Nordrhein-Westfalenknüpft die Besteuerung an das Vorliegen einer in der Gemeinde veranstalteten "Tanzveranstaltung gewerblicher Art" an. Eine Veranstaltung erfüllt nur dann die Merkmale einer solchen Tanzveranstaltung, wenn ihr inhaltlicher Charakter für die Besucher erkennbar auf das Vergnügen am Tanz gerichtet ist. Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, läßt sich nicht allgemeingültig beantworten. Es wird stets auf die Umstände des Einzelfalles ankommen, die anhand objektiver Kriterien - den tatsächlichen Bedingungen, unter denen die Veranstaltung vom Veranstalter gestaltet und durchgeführt wird, - festzustellen sind.

Die vom Senat vorgenommene Auslegung des Begriffs "Tanzveranstaltung" erschließt sich unmittelbar aus dem Wortlaut der Vorschrift unter Berücksichtigung des Zwecks der Besteuerung.

Der normative Begriff "Tanzveranstaltung" erfaßt lediglich den "veranstalteten" Tanz. Eine Veranstaltung aber wird typischerweise zweckgerichtet, nämlich auf einen ihren Charakter prägenden Inhalt bezogen, durchgeführt, wobei die Initiative hierfür vom Veranstalter ausgeht. Er entscheidet, was die Besucher der Veranstaltung zu erwarten haben, indem er ausgerichtet an dem von ihm bestimmten Inhalt und Zweck die tatsächlichen Bedingungen für die Durchführung der Veranstaltung setzt. Hierfür trägt der das unternehmerische Risiko, bei dessen Abwägung er u. a. auch die steuerlichen Aspekte zu berücksichtigen hat.

Da die Vergnügungssteuer nach ihrem Zweck als Aufwandsteuer i.S.d. Art. 106 GG die in der Einkommensverwendung für die Teilnahme an einer Vergnügung zum Ausdruck kommende erhöhte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Vergnügungssuchenden erfassen will (vgl. BVerfG Beschluß vom 6. Dezember 1983 - 2 BvR 1275/79 -, BVerfGE 65 325 ff. (345); BVerwG, Urteil vom 28. Juni 1974 - VII C 22.73 -, BVerwGE 45, 277 ff. (281) ist bei der Auslegung der Merkmale des Steuertatbestandes auch dessen mit der Veranstaltung verbundene und seine Teilnahme hieran auslösende Erwartung zu berücksichtigen. Die Erwartungshaltung des Veranstaltungsbesuchers aber wird geprägt durch die anhand objektiver Kriterien erkennbare tatsächliche Gestaltung der Veranstaltung wie etwa die Werbung, die Art und Weise der zu erwartenden Darbietung der mit dem "Tanz als rhythmisch geregelter Körperbewegung" i.d.R. notwendigerweise verbundenen musikalischen Begleitung (vgl. zum Begriff Tanz: Meyers Enzyklopädisches Lexikon, S. 213) und die sonstigen äußeren (Rahmen-) Bedingungen. Auf die Bezeichnung der Veranstaltung allein kommt es nicht an.

Ist eine Veranstaltung danach lediglich darauf gerichtet, die Gelegenheit zu eröffnen, dargebotene Musik zu hören und zu erleben, kommt der Musik mithin nicht lediglich eine zum Tanz animierende oder den Tanz begleitende Funktion zu, handelt es sich regelmäßig um eine (nicht der Vergnügungssteuer unterworfene) Musikveranstaltung. Eine solche Musikveranstaltung wird nicht dadurch zu einer Tanzveranstaltung iSd § 2 Nr. 1 VStG NW, daß Besucher zur Musik Tanzbewegungen ausführen, wenn und solange dieses Verhalten nicht vom Veranstalter - zweckgerichtet - veranlaßt worden ist und deshalb auf die - etwa den eigentlichen Veranstaltungszweck überspielende - Initiative der Besucher zurückgeht. Tanzbewegungen bleiben in derartigen Fällen eine gerade bei "live" gespielter Popmusik häufig und zumeist spontaner auftretende Begleiterscheinung einer nicht der Vergnügungssteuer unterworfenen Musikveranstaltung (vgl. im Ergebnis ebenso zu "Beat-Veranstaltungen" Bayerischer VGH , Urteil vom 17. Februar 1971 - Nr. 240 IV 70, KStZ 1971 97; vgl. auch BVerwG, Beschluß vom 10. Oktober 1969 - VII CB 65.67, KStZ 1970, 18 f; BayVGH, Urteil vom 21. August 1974 - Nr. 195 IV 70, KStZ 1974, 236; VG Braunschweig Urteil vom 23. Januar 1991 - 3 A 3201/90 -, ZKF 1991 206; Schubert Die Erhebung von Vergnügungssteuer für Tanzveranstaltungen gewerblicher Art in Nordrhein Westfalen, ZKF 1990 178 ff.).

Hiervon ausgehend ist das von der Klägerin am 15. und 16. Dezember 1989 veranstaltete "Live-Konzert" keine Tanzveranstaltung iSd § 2 Nr. 1 VStG NW. Nach der den Besuchern erkennbaren Gestaltung sollte die von den Bands abwechselnd dargebotene Musik Inhalt und Charakter der Veranstaltung prägen. Zu diesem Zweck hatte die Klägerin zwei dem interessierten Publikum offenbar nicht unbekannte Bands engagiert, deren "live" gespielte Musikstücke eigener und fremder Komposition die Besucher als Zuhörer und Zuschauer im Rahmen einer "Bühnenshow" vergnügen sollten. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor daß diese Bands in der interessierten Öffentlichkeit insbesondere wegen des Spielens von "Tanzmusik" bekannt sind. Derartige Hinweise fehlen etwa in der allein die Namen der Bands präsentierenden Werbung für die Veranstaltung am 15./16. Dezember 1989. Entsprechend dem Inhalt des beim Beklagten gestellten (gaststättenrechtlichen) Genehmigungsantrages und dessen Gestattung (vgl. §§ 12 , 3 GastG ) hatten die Besucher ein "Live-Konzert" zu erwarten, nicht eine Tanzveranstaltung, bei der der Musik lediglich Begleitfunktion zukommt. Dementsprechend hat die Klägerin auch an organisatorischen Maßnahmen alles unterlassen, was eine Möglichkeit zum Tanz hätte gewährleisten können. Es fehlte an einer auch dann für Tanzzwecke nutzbaren Fläche, wenn etwa infolge der Anzahl der Besucher die nur zum Stehen vorgesehene Fläche außerhalb der Bühne Tanzbewegungen nicht zugelassen hätte. Ferner haben sich die Bands unstreitig allein darauf beschränkt, ihre Musik zu präsentieren; die Besucher sind nicht zum Tanzen animiert worden. Durch den Tanz allein wurde der Gesamtcharakter der Veranstaltung als einer der Vergnügungssteuer nicht unterworfenen Musikveranstaltung nicht verändert.