Kostendeckungsvorschlag für Einnahmeausfälle in Bürgerbegehren? Karten und Pläne zu Bürgerbegehren
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.06.2018 - Az.: 1 S 1132/18
Leitsätze:
1. Entgehen der Gemeinde durch die mit einem Bürgerbegehren verlangte Maßnahme zukünftig Einnahmen, sind diese nur dann im Kostendeckungsvorschlag nach § 21 Abs. 3 Satz 4 GemO zu berücksichtigende Kosten, wenn die Gemeinde diese Beträge bisher schon tatsächlich eingenommen hat und diese aufgrund der verlangten Maßnahme nun wegfallen. (amtlicher Leitsatz)
2. Die Regelungen zum Bürgerbegehren in der Gemeindeordnung schließen es nicht aus, eine textliche Fragestellung, über die abgestimmt werden soll, durch Beifügung eines Lageplans oder einer Karte zu präzisieren. (amtlicher Leitsatz)
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Volltext
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 8. Mai 2018 - 9 K 2491/18 - wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.000,-- EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller erstrebt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Sicherung eines Bürgerbegehrens, das die Begrenzung des Abbaus von Kalkstein auf einem Grundstück der Antragsgegnerin zum Gegenstand hat. Er ist Bürger der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin ist Eigentümerin der Hochfläche des Plettenbergs. Der Kalksteinbruch auf dem Plettenberg wurde von 1940 an von der ... ... betrieben und stetig erweitert. Im Dezember 2004 wurde die ... mit der ..., der heutigen ...-... als übernehmende Gesellschaft verschmolzen. Die ...-... betreibt den Kalksteinbuch auf dem Plettenberg weiter und beabsichtigt, den Steinbruch auf zusätzliche Flächen auszudehnen.
Der Antragsteller ist Mitinitiator und Vertrauensperson eines Bürgerbegehrens für Abbaugrenzen des Steinbruchs auf dem Plettenberg. Dessen Fragestellung lautet:
„Sind Sie dafür, dass sich die Gemeinde verbindlich darauf festlegt, dass beim geplanten Gesteinsabbau auf dem Plettenberg eine südliche Resthochfläche (in Richtung Ratshausen sowie Richtung Hausen) mit mindestens 250 m Breite erhalten werden soll, jeweils von den Grundstücksgrenzen Parz. 2786 (Steilabhangkante) aus gemessen?''
Das Bürgerbegehren enthält folgende Begründung:
„Die Plettenberg-Hochfläche ist eine schutzwürdige Naturlandschaft. Um sie auch für zukünftige Generationen zumindest teilweise zu erhalten, bedarf es klarer Abbaugrenzen für den Gesteinsabbau. Durch den Bürgerentscheid vom 19.02.2017 wurde die von ... gewünschte Maximal-Abbaugrenze abgelehnt, aber immer noch keine klare Abbaugrenze festgesetzt. Wir wollen die Position der Gemeinde verbindlich auf die oben genannte Abbaugrenze festlegen."
Einen Kostendeckungsvorschlag enthält das Bürgerbegehren nicht. Dies wurde damit begründet, dass durch das Begehrte in den nächsten Jahren keine Mehrkosten für die Gemeinde entstünden.
Der Gemeinderat der Antragsgegnerin erklärte das Bürgerbegehren am 31.05.2017 für unzulässig. Der Widerspruch u.a. des Antragstellers wurde mit Widerspruchsbescheid des Landratsamts Zollernalbkreis vom 18.01.2018 zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht Sigmaringen lehnte den Antrag auf einstweilige Sicherung des Bürgerbegehrens mit Beschluss vom 08.05.2018 ab. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der Beschwerde.
Gründe
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Die fristgerecht dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des Senats beschränkt (§
146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), geben dem Senat keinen Anlass, über den Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abweichend vom Verwaltungsgericht zu entscheiden.
Zwar hat das Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommen, dass das Bürgerbegehren mangels Kostendeckungsvorschlag unzulässig sei (1). Zutreffend ist es jedoch davon ausgegangen, dass die Fragestellung des Bürgerbegehrens nicht hinreichend bestimmt ist (2).
1. Nach § 21 Abs. 3 Satz 4 GemO muss das Bürgerbegehren einen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme enthalten. Der Kostendeckungsvorschlag eines Bürgerbegehrens dient dem Zweck, den Bürgern in finanzieller Hinsicht die Tragweite und Konsequenzen der vorgeschlagenen Entscheidung deutlich zu machen. Da ein Bürgerentscheid die Wirkungen eines Gemeinderatsbeschlusses hat und nur eingeschränkt abänderbar ist (§ 21 Abs. 8 GemO), muss der Kostendeckungsvorschlag den Bürgern die Verantwortung für die wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Gemeindevermögen klarmachen. Daher sind jedenfalls in Form einer überschlägigen Schätzung die durch die Maßnahme voraussichtlich entstehenden Kosten und ein Vorschlag für deren Deckung anzugeben (Senat, Urt. v. 06.07.1982 -
1 S 1526/81 -
ESVGH 33, 42). Ein Kostendeckungsvorschlag ist allerdings entbehrlich, wenn keine Kosten anfallen, mit der Realisierung des Bürgerbegehrens sogar Einsparungen verbunden sind oder eine Kostenentwicklung nicht voraussehbar ist (Senat, Urt. v. 21.04.2015 -
1 S 1949/13 -
VBlBW 2015, 375).
Zu den Kosten, die im Kostendeckungsvorschlag des Bürgerbegehrens anzugeben sind, gehören nicht nur die unmittelbaren Kosten der vorgeschlagenen Maßnahme, sondern auch die notwendigen Folgekosten (Senat, Urt. v. 06.07.1982,
a.a.O.). Denn auch diese sind Kosten der „verlangten Maßnahme“ i.S.d. § 21 Abs. 3 Satz 4 GemO, da sie von dieser zurechenbar verursacht werden. Eventuelle Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der durch einen Bürgerentscheid bewirkten Nichtdurchführung einer Maßnahme sind hingegen keine Kosten der verlangten Maßnahme. Denn sie sind keine direkte, zurechenbare Folge der verlangten Maßnahme. Sie müssen daher nicht Gegenstand des Kostendeckungsvorschlags sein (Senat, Beschl. v. 08.04.2011 -
1 S 303/11 - EKBW § 21 GemO E 37; Urt. v. 21.04.2015,
a.a.O.; ähnlich OVG NRW, Beschl. v. 19.03.2004 -
15 B 522/04 -
DÖV 2004, 968 [Zurechnungszusammenhang maßgeblich]; a.A. NdsOVG, Beschl. v. 11.08.2008 -
10 ME 204/08 - juris Rn. 27 [auch Schadensersatzansprüche zu berücksichtigen]).
Entgehen der Gemeinde durch die verlangte Maßnahme zukünftig Einnahmen, sind diese nur dann Kosten der verlangten Maßnahme i.S.d. § 21 Abs. 3 Satz 4 GemO und daher im Kostendeckungsvorschlag zu berücksichtigen, wenn die Gemeinde diese Beträge bisher schon - z.B. aufgrund eines vertraglichen Anspruchs - tatsächlich eingenommen hat und diese aufgrund der verlangten Maßnahme nun wegfallen. Denn in diesem Fall ist der Wegfall der bisherigen Einnahmen unmittelbare Folge der verlangten Maßnahme. Auch der Zweck des Erfordernisses eines Kostendeckungsvorschlags, dass die Bürger bei ihrer Entscheidung ihre Verantwortung für das Gemeindevermögen erkennen und übernehmen können, gebietet hier die Angabe der zukünftig wegfallenden, bisher erzielten Einnahmen im Kostendeckungsvorschlag. Anderes gilt, wenn die verlangte Maßnahme lediglich dazu führt, dass die Gemeinde mögliche Einnahmen, die sie bisher nicht erzielt, auch zukünftig nicht haben wird. Die verlangte Maßnahme führt dann nicht zum unmittelbaren Verlust bisheriger Einnahmen, der anderweitig auszugleichen wäre. Auch der Zweck der Vorschrift macht es daher nicht notwendig, den Verzicht auf diese künftig bloß möglichen Einnahmen im Kostendeckungsvorschlag darzustellen.
Das hier streitige Bürgerbegehren musste daher nach Aktenlage keine Angaben zu künftig entgehenden Gewinnen aufgrund einer Begrenzung der Abbauflächen machen. Denn ein Verlust der bisher der Antragsgegnerin aufgrund der Verträge mit der ... zufließenden Einnahmen steht nicht in Rede. Sollte die Antragsgegnerin aufgrund der mit dem Bürgerbegehren verlangten Abbaubegrenzung in einem neuen Zusatzvertrag mit der ... - im Vergleich zu einem Vertrag auf der Grundlage größerer Abbauflächen - geringere zukünftige Einnahmen erzielen, wären dies keine Kosten der verlangten Maßnahme i.S.d. § 21 Abs. 3 Satz 4 GemO.
2. Das Bürgerbegehren hat die zur Entscheidung zu bringende Frage zu enthalten, § 21 Abs. 3 Satz 4 GemO. Diese muss sich aus dem Antrag unzweideutig und mit Bestimmtheit entnehmen lassen. Denn mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheid wird den Gemeindebürgern ein unmittelbarer Einfluss auf die Gemeindeangelegenheiten eingeräumt. Ein Bürgerentscheid hat, wie dargelegt, die Wirkungen eines Gemeinderatsbeschlusses und ist nur eingeschränkt abänderbar.Daher muss die Frage aus dem Antrag selbst einschließlich seiner Begründung mit hinreichender Klarheit und Eindeutigkeit zu entnehmen sein. Die Bürger müssen wissen, welchen Inhalt das von ihnen unterstützte Begehren hat. Da bei den Gemeindebürgern im Allgemeinen keine besonderen verwaltungsrechtlichen Kenntnisse vorausgesetzt werden können, dürfen an die Formulierung und die äußere Form eines Bürgerbegehrens jedoch keine übertriebenen formalen Anforderungen gestellt werden (Senat, Urt. v. 25.10.1976 -
I 561/76 -
ESVGH 27, 73; ähnlich: OVG NRW, Beschl. v. 15.05.2014 -
15 B 499/14 - juris Rn. 10; NdsOVG, Beschl. v. 11.08.2008,
a.a.O., Rn. 22).
Hiervon ausgehend, hat das Verwaltungsgericht die Fragestellung des Bürgerbegehrens als vieldeutig angesehen. Lese man diese zunächst ohne den Klammerzusatz, so scheine ein Verständnis nahezuliegen, wonach ein entsprechender Teil der gesamten Hochfläche zu erhalten sei. Der Zusatz in Klammern scheine dies dahingehend einzuschränken, dass nur die Fläche nach Südwesten (Ratshausen) und nach Südosten (Hausen) hin erhalten werden solle. Damit wäre dann eine Fläche nach Süden und nach Westen (Schömberg) hin nicht umfasst. Hier wäre schon unklar, wie diese nicht umfassten von den umfassten Flächen abzugrenzen wären. Während diese Zielrichtung zwar denkbar sei, lasse die Begründung des Bürgerbegehrens hierfür nichts erkennen. Denn dort sei allgemein formuliert, dass die Plettenberg-Hochfläche eine schutzwürdige Naturlandschaft ist. Sehe man als Zielrichtung den umfassenden Erhalt der Resthochfläche an, sei jedoch unverständlich, weshalb Schömberg als im Westen gelegener Ort im Klammerzusatz nicht erwähnt sei.
Hiergegen wendet sich die Beschwerde ohne Erfolg. Die schlichte Behauptung, eine genauere Umschreibung der zu erhaltenden Hochflächen sei nicht möglich, wird nicht begründet und ist angesichts der Entscheidungsgründe des Verwaltungsgerichts nicht nachvollziehbar. Auch im Übrigen setzt sich die Beschwerde nicht hinreichend mit den Entscheidungsgründen des Verwaltungsgerichts auseinander und legt nicht dar, wie durch Auslegung der Frage selbst eindeutig bestimmt werden kann, ob die gesamte Resthochfläche oder nur der Teil Richtung Hausen und Ratshausen vom Abbau ausgenommen werden soll.
Soweit der Antragsteller geltend macht, „jedem Dotterhausener Bürger [sei] durch zahlreiche Veröffentlichungen, Flugblätter, amtliche Karten zum Bürgerentscheid, Abbaugrenzforderungen von ... u.a.“ bekannt, was Ziel des Bürgerbegehrens sei, ist bereits zweifelhaft, ob sich aus den genannten Umständen eine hinreichende Bestimmtheit der Fragestellung ergeben kann. Denn diese muss sich - jedenfalls grundsätzlich - aus der Fragestellung einschließlich der Begründung selbst ergeben. Daher dürften im Allgemeinen subjektive, im Laufe des Verfahrens erläuternde Vorstellungen der Initiatoren oder Vertreter des Bürgerbegehrens sowie außerhalb des Bürgerbegehrens von ihnen zur Verfügung gestellte Informationen für die Auslegung der Fragestellung ohne Belang sein (so NdsOVG, Beschl. v. 11.08.2008,
a.a.O., Rn. 22). Aufgrund der hohen Bedeutung des Bürgerbegehrens, das im Falle eines erfolgreichen Bürgerentscheids die Wirkung eines Gemeinderatsbeschlusses hat, muss für den abstimmenden Bürger allein aus dem Text des Bürgerbegehrens einschließlich Begründung klar sein, worüber er abstimmt. Denn auch bei die Bürgerschaft insgesamt stark bewegenden Angelegenheiten ist es nicht ausgeschlossen, dass einzelne oder gar eine Vielzahl der Bürger über das Bürgerbegehren selbst hinausgehende Information nicht zur Kenntnis genommen haben oder bei der Stimmabgabe nicht aktuell erinnern. Zudem kommt es häufig vor, dass sich die Vorstellungen der Initiatoren von Bürgerbegehren im Laufe der Zeit konkretisieren oder ändern.
Aber selbst wenn man zu Gunsten des Antragstellers mit Rücksicht darauf, dass die Auslegung der Fragestellung im Hinblick auf das Verständnis der Einwohner und des Gemeinderats vor Ort erfolgt, unterstellt, dass Karten und Pläne, die Gegenstand der Diskussion vor Ort sind, zur Auslegung des Bürgerbegehrens mit herangezogen werden können, ergibt sich die hinreichende Bestimmtheit der Fragestellung nicht. Die Beschwerdebegründung nimmt insoweit Bezug auf Unterlagen in den vorgelegten Anlagen 5 und 7. Aus den Flugblättern der Bürgerinitiative in den Anlagen 5 und 6 ergeben sich bereits keine identischen Abbaugrenzen. In der Karte zum Bürgerentscheid vom 19.02.2017 in Anlage 7 sind Vorstellungen der Bürgerinitiative gar nicht eingezeichnet. Zur Anlage 5 hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen in dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren einer weiteren Vertrauensperson zutreffend ausgeführt, dass die dort eingezeichneten Abbaugrenzen nicht parallel zu den Flurstücksgrenzen des Flurstücks 2786 verlaufen, und dieses Flugblatt daher auch nicht geeignet ist, die Fragestellung des Bürgerbegehrens hinreichend zu bestimmen (Beschl. v. 11.06.2018 - 9 K 3779/18 -).
Klarstellend weist der Senat zum Beschwerdevorbringen, dass Pläne und Karten nicht als Teil eines Bürgerbegehrens zur Abstimmung gebracht werden dürften, auf Folgendes hin: Das Gesetz verlangt insoweit lediglich, dass das Bürgerbegehren schriftlich eingereicht wird und die zur Entscheidung zu bringende Frage enthalten muss (§ 21 Abs. 3 Satz 3, 4 GemO). Weitergehende Anforderungen als das Erfordernis, dass ein aus Wörtern bestehender Text in Frageform aufgeschrieben ist, stellt das Gesetz in diesem Zusammenhang nicht. Die darüber hinaus gehende Auffassung des Antragstellers, die Verwendung von Karten und Plänen in einem Bürgerbegehren sei unzulässig, findet im Gesetz keine Stütze. Es ist nicht ausgeschlossen, eine textliche Fragestellung durch Beifügung eines Lageplans oder einer Karte zu präzisieren (ebenso OVG NRW, Beschl. v. 15.05.2014,
a.a.O., Rn. 13).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §
63 Abs. 2 Satz 1, §
47 Abs. 1, §
53 Abs. 2 Nr. 1, §
52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
152 Abs. 1 VwGO).