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Kopplungsvorschriften und Höchsthebesätze bei der Grundsteuer; Bedeutung des kommunalabgabenrechtlichen Subsidiaritätsgrundsatzes

OVG Lüneburg, Urteil vom 19.09.1990 - Az.: 13 C 4/87

Leitsätze:

1. Die Bestimmung des § 26 GrStG, nach der Kopplungsvorschriften und die Bestimmung von Höchsthebesätzen für die Grundsteuer "einer landesrechtlichen Regelung vorbehalten" bleiben, schreibt solche Regelungen nicht zwingend vor, sondern überlässt ihren Erlass oder Nichterlass den Ländern. (Leitsatz des Herausgebers)

2. Bei dem Subsidiaritätsgrundsatz des § 3 Abs. 3 NdsKAG, nach dem die Gemeinden Steuern nur erheben sollen, soweit ihre sonstigen Einnahmen nicht ausreichen, handelt es sich im wesentlichen um einen programmatischen Satz, der der gerichtlichen Überprüfung grundsätzlich - jedenfalls abgesehen von Extremfällen - nicht zugänglich ist. Dementsprechend entfaltet er regelmäßig keine unmittelbare Rechtsgeltung zugunsten des Bürgers. (Leitsatz des Herausgebers)

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Gründe

(...)

Die Hebesatzsatzung der Antragsgegnerin vom 24.4.1987 verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

Rechtsgrundlagen dieser Satzung sind die §§ 6 I 1, 83, 84 II Nr. 3 NdsGO, 1 bis 3 NdsKAG und 25 GrStG. Danach haben die Gemeinden die Grundsteuerhebesätze durch Satzung festzusetzen. Diese Satzungsregelung ist nicht notwendig in der Haushaltssatzung zu treffen; sie kann, wie sich aus § 84 II Nr. 3 NdsGO ergibt, auch - wie hier geschehen - in einer besonderen Steuersatzung erfolgen.

Diese Steuersatzung bedurfte nicht der kommunalaufsichtlichen Genehmigung. Die vom Antragsteller genannte Verordnung vom 30.9.1963, die in ihrem § 1 I u. a. für den Fall einer Erhöhung der Hebesätze gegenüber dem Vorjahr eine kommunalaufsichtliche Genehmigungspflicht begründete, galt im Jahr 1987 nicht mehr. Sie war durch Art. IV des Gesetzes vom 2.7.1985 aufgehoben. Damit war die Genehmigungspflicht entfallen.

Zu Unrecht hält der Antragsteller die Aufhebung der Verordnung vom 30.9.1963 durch das Gesetz vom 2.7.1985 für ungültig, weil damit zugleich die in der Verordnung enthaltenen - nach § 26 GrStG der Landesgesetzgebung überlassenen - Koppelungs- und Höchstsatzregelungen entfallen seien. § 26 GrStG schreibt solche landesrechtlichen Regelungen nicht zwingend vor, sondern besagt lediglich, daß derartige Regelungen "einer landesrechtlichen Regelung vorbehalten" seien. Das bedeutet bei natürlichem Verständnis, daß ihr Erlaß oder Nichterlaß den Ländern überlassen bleiben soll. Demgegenüber kann sich der Antragsteller nicht mit Erfolg auf den Beschluß des erkennenden Gerichts vom 28.9.1972 (KStZ 1972, 215) berufen. Denn diese Entscheidung betrifft nicht § 26 GrStG, sondern § 6 des Einführungsgesetzes zu den Realsteuergesetzen vom 1.12.1936 (RGBl I, 961). Die Vorschriften dieses Gesetzes sind jedoch bereits ab dem Kalenderjahr 1974 nicht mehr auf die Grundsteuern anzuwenden (Art. 5 des Gesetzes zur Reform d. Grundsteuerrechts v. 7.8.1973 - BGBl I, 965). § 6 des genannten Einführungsgesetzes hatte zudem auch einen anderen Wortlaut als die nunmehr geltende Vorschrift des § 26 GrStG. In § 6 des Einführungsgesetzes hieß es nämlich: "Die Landesregierung erläßt durch Rechtsverordnung ... ". Aus dieser Formulierung hat das erkennende Gericht in der genannten, in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangenen Entscheidung, ohne insoweit eine abschließende Feststellung treffen zu wollen, gefolgert, es spreche viel dafür, daß es sich bei der Regelung um ein zwingendes Gebot an die Landesregierung gehandelt habe. Andere Gerichte haben in späteren Entscheidungen hiervon abweichend entschieden und ein solches zwingendes Gebot verneint (VG Hannover, KStZ 1974, 96; FG Niedersachsen, KStZ 1976, 174). Für den vorliegenden Fall kommt es auf diese Rechtsprechung jedoch nicht mehr an, da der hier allein maßgebliche § 26 GrStG jedenfalls schon nach seinem von § 6 des Einführungsgesetzes klar abweichenden Wortlaut keine Verpflichtung, sondern nur eine Ermächtigung für die Länder enthält (Troll, GrStG, 5. Aufl., § 26 Rdnr. 2). Dies wird auch durch die in der Regierungsvorlage zum Grundsteuergesetz zu § 26 gegebene Begründung bestätigt. Denn darin heißt es, daß der Bund "es den Ländern überläßt, inwieweit entsprechende Gesetze zu erlassen sind" (Troll, § 26 Rdnr. 1). Dies zeigt den gesetzgeberischen Willen, den Ländern den Erlaß solcher Vorschriften in vollem Umfang freizustellen. Dementsprechend gibt es Länder, die Vorschriften i. S. des § 26 GrStG erlassen haben, und andere, in denen das Steuererhebungsrecht der Gemeinden nicht durch solche Bestimmungen eingeschränkt ist (vgl. Troll, § 26 Rdnr. 2).

Eine Genehmigungspflicht für die angefochtene Hebesatzsatzung ergibt sich entgegen der Ansicht des Antragsteller auch nicht aus anderen Vorschriften, insbesondere nicht aus § 84 II Nr. 3 i. V. mit § 86 NdsGO. Diese Regelungen begründen selbst keine Genehmigungspflicht für Satzungen. § 86 NdsGO enthält in seinem Abs. 2 lediglich Vorschriften für Haushaltssatzungen, die genehmigungspflichtige Teile enthalten. Die Genehmigungspflicht muß sich dabei jedoch aus anderen gesetzlichen (§ 6 III NdsGO) Vorschriften ergeben. Solche Vorschriften sind jedoch, soweit es um die hier in Rede stehende Satzung geht, weder dargetan noch ersichtlich.

Der Antragsteller kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, daß die Hebesatzsatzung vom 24.4.1987 der Kommunalaufsichtsbehörde zumindest vorzulegen gewesen sei, was nicht geschehen sei. Zwar begründet § 86 I NdsGO eine Vorlagepflicht. Daß die Vorlage Wirksamkeitsvoraussetzung ist, läßt sich dem Gesetz jedoch nicht entnehmen. Darüber hinaus besteht die Vorlagepflicht auch nur für die Haushaltssatzung mit ihren Anlagen. Hier handelt es sich jedoch nicht um die Haushaltssatzung, sondern um eine gegenüber der Haushaltssatzung eigenständig erlassene Satzung.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß auch die Zweifel des Antragsteller an der ordnungsgemäßen Bekanntmachung der angegriffenen Satzung nicht gerechtfertigt sind.

Auch seine materiellen Einwendungen gegen die Satzung greifen nicht durch. Das Recht der Gemeinden zur Steuererhebung ist in § 83 I, II NdsGO und § 3 NdsKAG i. V. mit den Vorschriften der Abgabenordnung (§ 1 II) sowie den besonderen Vorschriften über die einzelnen Steuerarten - hier das Grundsteuergesetz - näher geregelt. Nach § 83 I NdsGO erheben die Gemeinden Abgaben nach den gesetzlichen Vorschriften. Nach § 83 II haben sie die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Einnahmen, soweit vertretbar und geboten, aus speziellen Entgelten für erbrachte Leistungen, aus sonstigen Einnahmen und - soweit diese beiden Einnahmearten nicht ausreichen - aus Steuern zu beschaffen. § 31 NdsKAG gibt den Gemeinden das Recht zur Steuererhebung; nach § 3 III NdsKAG "sollen" Steuern nur erhoben werden, soweit die sonstigen Einnahmen nicht ausreichen; letzteres soll jedoch nicht für die Vergnügungs- und Hundesteuer gelten. Aus dem Zusammenhang dieser Vorschriften ergibt sich zwar eine gewisse Subsidiarität des Rechts der Gemeinden zur Erhebung von Steuern in dem Sinne, daß zunächst alle anderen Einnahmequellen auszuschöpfen sind. Diese Subsidiarität ist jedoch bereits in § 83 II NdsGO in der Weise eingeschränkt, daß spezielle Entgelte nur "soweit vertretbar und geboten" erhoben werden müssen, was den Gemeinden einen weiten Beurteilungsspielraum eröffnet. Noch weiter abgeschwächt wird die Subsidiarität der Steuererhebung dadurch, daß sie in § 3 III NdsKAG nur in Gestalt einer Sollvorschrift normiert und für zwei Steuerarten ganz aufgegeben worden ist. Dabei ist davon auszugehen, daß dem § 3 NdsKAG als der spezielleren kommunalen Steuerregelung gegenüber § 83 NdsGO, der sich allgemein mit der Einnahmebeschaffung der Gemeinden befaßt, Vorrang zukommt. Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, daß eine Subsidiarität der gemeindlichen Steuererhebung gegenüber anderen Arten der Einnahmebeschaffung nur in eingeschränktem Umfang in dem Sinne gegeben ist, daß den Gemeinden insoweit ein weites Ermessen eingeräumt ist. Es handelt sich bei dem Grundsatz im wesentlichen lediglich um eine programmatische Finanzierungsregel, die der gerichtlichen Nachprüfung ihrer Natur nach grundsätzlich nicht zugänglich ist. Zugunsten des Bürgers entfaltet der Subsidiaritätsgrundsatz mithin regelmäßig keine unmittelbare Rechtsgeltung (OVG Lüneburg, Beschl. v. 27.6.1990 - 13 L 26/90; Hillmann, NdsKAG, 3. Aufl., § 3 Anm. 4; Dahmen-Driehaus-Küffmann-Wiese, NRWKAG, 3. Aufl., § 3 Rdnr. 20; a. A. OVG Münster, KStZ 1990, 157).

Dies muß jedenfalls dann gelten, wenn nicht dargetan oder ersichtlich ist, daß die Gemeinde den Grundsatz der vorrangigen Einnahmebeschaffung durch spezielle Entgelte in ganz eklatanter Weise mißachtet hat. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Der Antragsteller hat nichts dafür vorgetragen, daß die Antragsgegnerin die von ihr für erforderlich gehaltenen Mehreinnahmen statt durch die beanstandete Erhöhung der Realsteuerhebesätze durch eine angemessene Erhöhung von speziellen Leistungsentgelten hätte erzielen können und müssen. Der von der Antragsgegnerin überreichte Haushaltsplan für das Jahr 1987 und die weiteren zu diesem Haushalt vorgelegten Unterlagen weisen zwar in manchen, in erster Line durch spezielle Entgelte zu finanzierenden Teilhaushalten, eine Unterdeckung auf (z. B. im Bereich der Volksbildung, bei den Schwimmbädern, bei der Musikschule, bei der Straßenbeleuchtung und Straßenreinigung, im Bestattungswesen und bei der Abwasserbeseitigung). Daß diese Unterdeckungen sich völlig außerhalb des vertretbaren und gebotenen Maßes bewegen, ist jedoch nicht dargetan oder erkennbar. Auch die Bezirksregierung hat in ihren mehrfachen Beanstandungen des Haushaltsplans 1987 insoweit keine Bedenken geäußert, sondern lediglich die Ausgabenpolitik der Antragsgegnerin bemängelt. Hierauf stützt sich auch der Antragsteller Für eine Prüfung, ob und inwieweit die von der Antragsgegnerin in ihrem Haushalt 1987 vorgesehenen Ausgaben der Art und Höhe nach notwendig und geboten waren, ist jedoch im vorliegenden Verfahren ebenfalls kein Raum.

Nach § 82 II NdsGO ist die Haushaltswirtschaft der Gemeinden zwar sparsam und wirtschaftlich zu führen. Dieser gesetzlichen Verpflichtung widerspricht ein Haushalt, der Ausgaben ausweist, die wirtschaftlich unter keinem Gesichtspunkt zu rechtfertigen sind. Ob der Haushalt 1987 der Antragsgegnerin solche Ausgaben in größerem Umfang enthielt, ist jedoch für die hier in Rede stehende Steuererhöhung ohne Bedeutung. Denn selbst wenn der Haushalt 1987 zu einem Teil Ausgaben enthalten hätte, die dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht entsprachen, würde sich daraus noch nicht ergeben, daß die hier streitige Steuererhöhung nicht erforderlich war. Denn die Haushaltslage der Antragsgegnerin war im Jahre 1987 unbestrittenermaßen in hohem Maße schwierig. Es bestand eine erhebliche Verschuldung, und Defizite aus den Vorjahren waren abzudecken. Bei dieser Sachlage hätte die Antragsgegnerin auch dann, wenn sie ihre Ausgaben erheblich gekürzt hätte, ihre Einnahmequellen, wozu auch die Steuerquellen gehören, voll ausschöpfen müssen. Und selbst wenn sich dabei - wofür kein Anhalt besteht - ein Überschuß ergeben hätte, würde dies die hier in Rede stehende Hebesatzerhöhung nicht rechtswidrig machen. Vielmehr läge es in einem solchen Fall allein im Ermessen der Antragsgegnerin, im einzelnen selbst darüber zu befinden, auf welche Steuern sie verzichten will und welche Steuern erhoben werden sollen. In dieses Ermessen kann der Senat nicht eingreifen.