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Aufnahme auf Landesrecht beruhender Gestaltungsregelungen in einen Bebauungsplan

VGH Hessen, Urteil vom 19.07.1988 - Az.: 4 UE 2766/88

Leitsätze:

Für die wirksame Aufnahme von Gestaltungsregelungen nach § 9 Abs. 2 BBauG in der bis zum 31.12.1976 geltenden Fassung in einen Bebauungsplan musste den Gemeindevertretern bei der Beschlussfassung bewusst sein, dass sie nicht nur über einen Bebauungsplan, sondern auch über eine auf Landesrecht beruhende Gestaltungssatzung beschließen. (Leitsatz des Herausgebers)

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Hinweis: Eine § 9 Abs. 2 BBauG a.F. vergleichbare Regelung findet sich nunmehr in § 9 Abs. 4 BauGB.

Volltext

Gründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgemäß erhoben (§§ 124, 125 VwGO).

Die Berufung und die Klage sind auch im wesentlichen begründet, denn die Ablehnung der beantragten Baugenehmigung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. zu diesen Voraussetzungen § 113 Abs. 4 Satz 1 VwGO). Gleichwohl ist die Klage im übrigen abzuweisen, denn der Senat kann die Verpflichtung zur Erteilung der Baugenehmigung nicht aussprechen, weil die Sache nicht spruchreif ist. Es bedarf weiterer tatsächlicher Ermittlungen, insbesondere hinsichtlich der Baustatik. Der Senat spricht daher nach § 113 Abs. 4 Satz 2 VwGO die Verpflichtung aus, über den Bauantrag des Klägers vom 21.05.1979 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Bauplanungsrecht steht der Errichtung des Satteldachs nicht entgegen. Es kann unentschieden bleiben, ob der Bebauungsplan wirksam ist. Ist er wirksam, so ist das Bauwerk eingeschossig zu errichten. Auch mit dem beantragten Satteldach handelt es sich um ein eingeschossiges Gebäude, denn das Dachgeschoß erfüllt nicht den Vollgeschoßbegriff des § 2 Abs. 4 Satz 1 HBO. Die Skizze Blatt 181 der Verwaltungsvorgänge des Beklagten zeigt, daß die lichte Höhe über weniger als 2/3 der Grundfläche des Dachgeschosses 2,30 m beträgt. Die Frage der Dachform und -neigung ist eine baugestalterische Frage, die Bauordnungsrecht betrifft.

Ist der Bebauungsplan unwirksam, so ist § 34 BauGB anzuwenden. Nach § 236 Abs. 1 BauGB ist unter anderem § 34 BauGB anzuwenden, wenn vor dem 01.07.1987 über die Zulässigkeit eines Vorhabens entschieden worden ist und die Entscheidung noch nicht unanfechtbar geworden ist. Die Vorschrift ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats einschränkend dahin auszulegen, daß das BauGB nur dann anwendbar ist, wenn die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens uneingeschränkt überprüfbar ist, insbesondere bei Widerspruch und Klage des Bauwerbers gegen die Versagung der Baugenehmigung (Hess. VGH, Urteil vom 04.09.1987, - 4 OE 1048/85 - Hess VGRspr. 1988, 33 und Beschluß vom 09.11.1987 - 4 TG 1913/87 -, BRS 47 Nr. 156). Das ist hier der Fall.

Das Bauvorhaben fügt sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Im gesamten Bebauungsplangebiet ist mit Ausnahme des Teilgebiets Nr. 11 Wohnnutzung ausgewiesen. Auch das Haus des Klägers soll weiterhin dem Wohnen dienen. Das Maß der baulichen Nutzung wird gegenüber der bestandskräftigen Nutzung als Flachdachgebäude nicht erhöht. Auch an der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut ist, ändert sich nichts. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse bleiben gewahrt; das Ortsbild wird ebenfalls nicht beeinträchtigt.

Bauordnungsrechtlich steht die Regelung im Textteil des Bebauungsplanes, wonach nur Flachdach mit Bekiesung zulässig ist, dem Bauvorhaben nicht entgegen. Denn diese Regelung ist unwirksam. Es handelt sich um eine Gestaltungsregelung. Rechtsgrundlage ist § 29 Abs. 4 HBO in der Fassung des Gesetzes vom 04.07.1966 (GVBl. I, S. 171), nicht § 118 Abs. 1 Nr. 1 HBO 1976, denn der am 27.02.1975 als Satzung beschlossene und am 22.11.1975 aufsichtsbehördlich genehmigte Plan wurde durch Bekanntmachung vom 19.12.1975 in Nr. 51 der M.-Nachrichten und Auslegung vom 05.01.1976 bis zum 06.02.1976 veröffentlicht, während die Neufassung der HBO erst am 08.09.1976 in Kraft trat (vgl. Art. 3 des Gesetzes für eine Hessische Bauordnung und zur Änderung des Hessischen Architektengesetzes vom 31.08.1976 - GVBl. I, S. 339 ff., 382).

Nach § 29 Abs. 4 Satz 1 HBO a.F. konnten die Gemeinden durch Satzung unter anderem besondere Anforderungen an die äußere Gestaltung der Bauwerke und Bauteile stellen, soweit dies zur Durchführung bestimmter gestalterischer Absichten oder zum Schutze bestimmter Bauwerke, Straßen, Plätze oder Ortsteile von geschichtlicher usw. Bedeutung oder zum Schutze von Naturdenkmalen erforderlich war. Nach § 9 Abs. 2 des Bundesbaugesetzes - BBauG - vom 23.06.1960 (GVBl. I, S. 341 ff., 348) konnten die Landesregierungen bestimmen, daß derartige Gestaltungsregelungen in den Bebauungsplan aufgenommen werden können. Von dieser Möglichkeit hat die Hessische Landesregierung mit § 1 der Zweiten Verordnung zur Durchführung des Bundesbaugesetzes vom 20.06.1961 (GVBI. 1961, S. 86) Gebrauch gemacht. Sowohl diese Verordnung als auch die Rechtsgrundlage des § 9 Abs. 2 BBauG a.F. galten noch, als der vorliegende Bebauungsplan in Kraft trat. § 9 Abs. 2 BBauG a.F. wurde erst durch das Gesetz zur Änderung des Bundesbaugesetzes vom 18.08.1976, in Kraft getreten am 26.08.1976 (vgl. § 189 BBauG, BGBl. 1976 I, S. 2221 ff., 2314), geändert.

§ 9 Abs. 2 BBauG a.F. setzte eine auf Landesrecht beruhende Festsetzung voraus, die entweder schon bestand oder gleichzeitig mit dem Bebauungsplan beschlossen wurde. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine solche Satzung an das Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplanes - z.B. hinsichtlich der Bürgerbeteiligung - gebunden war, denn jedenfalls mußte die Gestaltungssatzung beschlossen werden. Es mußte den Gemeindevertretern klar sein, daß sie nicht nur einen Bebauungsplan, sondern außerdem eine landesrechtliche Gestaltungssatzung beschließen. Das Bestehen einer derartigen bauordnungsrechtlichen Satzung mußte nachweisbar sein und sich aus dem Bebauungsplan ergeben (vgl. Gelzer, Bauplanungsrecht, 2. Auflage 1972, Rdnr. 174; Bielenberg in Ernst/ Zinkahn/Bielenberg, Bundesbaugesetz, Rdnr. 87 b zu § 9 BBauG 1976). Daran fehlt es hier. Der in den Aufstellungsunterlagen zum Bebauungsplan befindliche Auszug aus dem Protokoll der Gemeindevertretersitzung Nr. 21/1975 vom 27.02.1975 enthält keinerlei Hinweise auf die Gestaltungssatzung. Die Überschrift von Punkt 7 des Protokolls lautet: "Beraten der vorgebrachten Anregungen und Bedenken nach § 2 Abs. 6 BBauG zum Entwurf des Bebauungsplanes "Im S." und Beschließen des Bebauungsplanes als Satzung". Auch in dem eineinhalbseitigen Begründungstext findet sich kein Wort zur Gestaltungssatzung. Vorschriften der Hessischen Bauordnung werden nicht genannt. Die Planzeichnung enthält ebenfalls keinen Nachweis einer nach § 29 Abs. 4 HBO a.F. beschlossenen Gestaltungssatzung. Der Plan ist lediglich als "Bebauungsplan Im S. der Gemeinde N.-R." bezeichnet. Die Planzeichnung verweist nur auf die Rechtsgrundlagen "§ 9 BBauG und BauNVO in der Fassung vom 26.11.1968". Der Satzungsbeschluß ist auf der Planzeichnung mit den Worten vermerkt: "Beschlossen als Satzung aufgrund des § 5 der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) in der Fassung vom 01.07.1960 (GVBl. S. 103) und des § 10 BBauG in der Sitzung der Gemeindevertretung der Gemeinde N.-R. vom 27. Febr. 1975 ..." Auch an dieser Stelle sind keine Vorschriften der Hessischen Bauordnung genannt. Nach allem hat die Gemeindevertretung eine gesonderte, auf § 29 Abs. 4 HBO a.F. beruhende, Gestaltungssatzung nicht beschlossen.

Das geplante Bauvorhaben verstößt nicht gegen das Verunstaltungsverbot des § 14 HBO.

§ 14 Abs. 1 HBO ist nicht verletzt, denn das Satteldach mit Solaranlage wirkt selbst nicht verunstaltet, wie die vom Kläger vorgelegten Bauskizzen (Bl. 183 bis 186 der Verwaltungsvorgänge des Beklagten) zeigen.

Auch die Vorschriften des § 14 Abs. 2 HBO stehen dem Bauvorhaben nicht entgegen. § 14 Abs. 2 HBO enthält drei Anforderungen (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 19.05.1978 - IV OE 126/76 - HessVGRspr. 1978, 90).

Schon die erste Anforderung des § 14 Abs. 2 HBO erfüllt das Bauvorhaben nicht, denn durch das Satteldach und die Solarenergieanlage wird das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild nicht verunstaltet. Dies hat die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme ergeben. Das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild in der Umgebung des Grundstücks des Klägers ist zu uneinheitlich, um ein Ordnungsgefüge erkennen zu lassen, das zu einer Verpflichtung des Klägers führen könnte, das Flachdach beizubehalten. Gegenüber dem Grundstück des Klägers befindet sich eine Reihenhauszeile, die zweigeschossig und mit Satteldächern versehen ist. Blickt man - neben dem Grundstück des Klägers am Rande der Grünfläche am B-weg stehend - in östlicher Richtung den B-weg entlang, so fällt der Blick nicht nur auf die genannte Reihenhauszeile, sondern auch auf den Giebel des zweigeschossigen Hauses auf der Ostseite der Alten D. Straße gegenüber der Einmündung des B-wegs sowie auf die Flachdächer nördlich des B-wegs zu denen das Haus des Klägers gehört. Weiterhin sieht man die östlich und nördlich im Hintergrund stehenden Häuser mit Giebel- und Walmdächern im Bereich der Alten D. Straße und der dahinter im Westen liegenden älteren Bebauung am P-weg und L-weg. Wie die Beweisaufnahme weiter ergeben hat, stufen sich die im Bereich des Neubaugebiets stehenden Häuser mit Flachdächern vom Wald her mit abnehmender Geschoßzahl hangabwärts bis zur Alten D. Straße. Auch dort, wo gleiche Geschoßhöhen anzutreffen sind, sind die Dächer der Hauptgebäude je nach Höhenstellung und Bauausführung unterschiedlich hoch. Ebenso gibt es unterschiedliche Höhen zwischen Haupt- und Nebengebäuden und den Nebengebäuden im Verhältnis zueinander. Liegt aber schon kein klar gegliedertes und mindestens nach Bereichen einheitliches Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild vor, so kann das vorhandene Bild nicht durch die beabsichtigte Änderung einer Dachform verunstaltet werden. Davon abgesehen wird es jedenfalls deshalb zu keiner Verunstaltung kommen, weil keine unerträgliche Beeinträchtigung des ästhetischen Empfindens des Beschauers festgestellt werden könnte (vgl. zu dieser Voraussetzung Hess. VGH, Urteil vom 19.05.1978, a.a.O. und Urteil vom 24.01.1986 - IV OE 120/82 -).

Ein Verstoß gegen den zweiten Tatbestand des § 14 Abs. 2 HBO liegt schon deshalb nicht vor, weil hiermit gemeint ist, daß auf positive Gestaltungsregelungen Rücksicht genommen werden soll, die in Bebauungsplänen und in Gestaltungssatzungen oder aufgrund des Landschaftspflegegesetzes getroffen werden können (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 19.05.1978, a.a.O.). Eine wirksame Gestaltungssatzung liegt nicht vor, wie oben bereits ausgeführt wurde.

Auch der dritte Tatbestand des § 14 Abs. 2 HBO steht dem Vorhaben des Klägers nicht entgegen. Insofern ist nach § 14 Abs. 2 Satz 2 HBO darauf abzustellen, ob das Satteldach einen Fremdkörper darstellt und ob dem gebildeten Durchschnittsbürger erkennbar ist, daß ein gestalterischer Widerspruch zwischen den vorhandenen und der hinzutretenden Anlage besteht, wobei es der Senat offen gelassen hat, ob dieser Widerspruch Unlust erregen muß oder belastend sein muß (Hess. VGH, Urteil vom 19.05.1978, a.a.O.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Aufgrund der Beweisaufnahme kann schon nicht gesagt werden, was die Eigenart der Umgebung ausmacht. Hierbei kommt es darauf an, festzustellen, was die Umgebung prägt. Nur diese prägenden Elemente könnten die Eigenart der Umgebung im Sinne des § 14 Abs. Satz 2 HBO bestimmen. Es muß sich um gemeinsame Eigenschaften handeln, die ein bestimmtes gestalterisches oder von der Natur vorgegebenes Konzept und damit eine bestimmte Stadtsilhouette deutlich werden lassen. Daran fehlt es hier. Das Zusammenstehen von einigen Flachdachhäusern im Bereich des klägerischen Grundstücks genügt insofern nicht, auch nicht die Tatsache, daß sich Häuser mit Flachdächern vom Wald her mit abnehmender Geschoßzahl hangabwärts bis zur Alten D. Straße stufen. Denn die Beweisaufnahme hat auch gezeigt, daß die Dächer der Hauptgebäude je nach Höhenstellung und Bauausführung unterschiedlich hoch sind. Ebenso gibt es unterschiedliche Höhen zwischen Haupt- und Nebengebäuden und den Nebengebäuden im Verhältnis zueinander. Aber selbst dann, wenn man meint, die Flachdächer in der unmittelbaren Umgebung des Hauses des Klägers müßten erhalten werden, wäre es durchaus möglich, die beiden unmittelbar am B-weg stehenden Häuser - und damit auch das Haus des Klägers - mit Satteldächern zu versehen, da sie sich im gestalterischen Einflußbereich der südlich am B-weg stehenden und mit Satteldächern versehenen Reihenhäuser befinden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, wonach einem Beteiligten die Kosten ganz auferlegt werden können, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, denn bei der Frage, ob grundsätzlich ein Satteldach mit Solarenergieanlage genehmigt werden muß, handelt es sich um den Hauptaspekt, der der Erteilung der Baugenehmigung entgegenstand und über den allein gestritten wurde. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen können dem Beklagten nicht auferlegt werden, weil die Beigeladene im Prozeß grundsätzlich auf der Seite des Beklagten steht. Es entspricht auch nicht der Billigkeit (§ 162 Abs. 3 VwGO der Beigeladenen außergerichtliche Kosten, die zudem nur gering sein können, zu Lasten der Staatskasse zu erstatten, da die Beigeladene sich nicht durch eigene Antragstellung am Kostenrisiko beteiligt und das Verfahren auch sonst nicht wesentlich gefördert hat.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.