Datenbank zur Rechtsprechung im Kommunalrecht

Kein Bürgerentscheid ohne rechtliche Auswirkungen

VGH Bayern, Beschluss vom 22.03.1999 - Az.: 4 ZB 98.1352

Leitsätze:

Ein Bürgerentscheid, dessen Annahme keinerlei rechtliche Auswirkungen hätte, ist unzulässig. Allein das Ziel, eine politische Signalwirkung herbeizufüren, reicht für eine Zulässigkeit nicht aus. (Leitsatz des Herausgebers)

Kategorien:

Volltext

Tenor

I. Die Berufung wird nicht zugelassen.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof als Gesamtschuldner.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wird auf 8.000,-- DM festgesetzt.

Tatbestand

I. Die Errichtung von fünften und sechsten Jahrgangsklassen an den drei Staatlichen Realschulen E..., H... und S... im Gebiet des Antragsgegners als Schulversuch war seit 1993 in der Diskussion. Am 3. März 1997 beschloß der Kreistag des Beklagten, der Einbeziehung dieser drei Realschulen in den Schulversuch "sechsstufige Realschule" vom Beginn des Schuljahres 1997/1998 an zuzustimmen. Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst machte die Durchführung des Schulversuchs an den drei Realschulen am 14. März 1997 im Amtsblatt bekannt (KWMBl. I S. 86).

Am 17. April 1997 reichten die drei Kläger als Vertreter des Bürgerbegehrens "Für den Erhalt unserer Volksschulen" die erforderliche Zahl von Unterschriften für ein Bürgerbegehren mit folgender Fragestellung ein: "Sind Sie dafür, daß der Kreistag Bamberg seinen Beschluß vom 3. März 1997 aufhebt und sich gegen die Einführung des Modellversuchs "sechsstufige Realschule" im Landkreis Bamberg ausspricht?"

Der Kreistag des Beklagten beschloß am 9. Juni 1997, das Bürgerbegehren als unzulässig zurückzuweisen.

Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 5. März 1998 ab. Zur Begründung führte es aus, der Beklagte habe bei seiner Entscheidung für die Zulassung des Bürgerbegehrens zu Recht auch geprüft, ob das Bürgerbegehren gegen materielles Recht verstoße. Dabei sei er zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß die Stellungnahme des Beklagten im Schulversuch nach Einführung des Schulversuchs "verbraucht" sei. Das Bürgerbegehren könne an der Einführung des Schulversuchs nichts mehr ändern. Zudem sei auch die Fragestellung des Bürgerbegehrens insofern zu beanstanden, als der Kreistag aufgefordert werde, seinen Beschluß aufzuheben.

Die Vertreter des Bürgerbegehrens haben am 6. Mai 1998 die Zulassung der Berufung mit folgender Begründung beantragt: Es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, weil die Fragestellung des Bürgerbegehrens so auszulegen sei, daß die Zustimmung des Kreistags zum Schulversuch durch den Bürgerentscheid selbst aufgehoben werden solle. Des weiteren könne daraus, daß die Benehmensentscheidung angeblich verbraucht sei, nicht geschlossen werden, das Bürgerbegehren verstoße gegen geltendes Recht. Zwar könne das Bürgerbegehren nicht mehr die Verhinderung oder Absetzung des Schulversuchs erreichen. Ein Bürgerbegehren ohne rechtliche Auswirkungen müsse deshalb aber nicht rechtswidrig sein. Eine Meinungsäußerung der Landkreisbürger sei auch nach Einführung des Schulversuchs noch möglich. Sie könne eine politische Signalwirkung haben. Die Rechtssache weise besondere rechtliche Schwierigkeiten auf, weil noch kein Gericht die Frage entschieden habe, ob ein rechtlich wirkungsloses Bürgerbegehren deshalb auch rechtswidrig und unzulässig sein müsse. Schließlich habe die Rechtssache auch grundsätzliche Bedeutung. Die rechtlich bedeutsame Kernfrage sei, ob rechtlich wirkungslose Bürgerbegehren zulässig seien oder nicht.

Der Beklagte beantragt, die Berufung nicht zuzulassen. Er ist der Ansicht, einem Mißbrauch des Instruments Bürgerbegehren/Bürgerentscheid würde Tür und Tor geöffnet, wenn auch unverbindliche Meinungsäußerungen Gegenstand eines Bürgerentscheids sein könnten.

Die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses ist der Ansicht, der Zulassungsantrag sei abzulehnen.

Gründe

II. Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.

1. Die geltend gemachten rechtlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen nicht (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Zwar kann die Fragestellung des Bürgerbegehrens möglicherweise so ausgelegt werden, daß nicht der Kreistag aufgefordert wird, seinen Beschluß vom 3. März 1997 aufzuheben, sondern daß die Bürger dies im Bürgerentscheid selber tun.

Gleichwohl ist die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht zu bezweifeln. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil es im Ergebnis zu Recht der Ansicht war, daß die Fragestellung unzulässig ist.

Bürgerbegehren und Bürger entscheid können, wie sich aus dem Namen und dem Wesen des Rechtsinstituts ergibt, nur zu Angelegenheiten stattfinden, über die die Kommune jetzt oder in absehbarer Zukunft sinnvoll entscheiden kann. Anstatt des Kreistags treffen die Bürger die Entscheidung. Wo es nichts zu entscheiden gibt, kann auch kein Bürgerbegehren/Bürgerentscheid stattfinden. Mit der Einführung des Rechtsinstituts sollte erreicht werden, daß die Gemeinde- und Landkreisbürger am kommunalen Geschehen stärker beteiligt werden und über bestimmte Angelegenheiten der Kommunen selbst entscheiden können (Nr. I der Erläuterungen in der Bekanntmachung der Bayerischen Staatsregierung v. 13.7.1995 Nr. B III 2-1-373, Bayer. Staatsanzeiger Nr. 29 v. 21.7.1995). Den Bürgern sollte nicht länger "das Recht vorenthalten (werden), unmittelbar politische Sachentscheidungen in ihren Gemeinden und Kreisen zu treffen" (so in "Anlaß und Ziel des Gesetzentwurfs" in Gesetzentwurf des Volksbegehrens mehr Demokratie in Bayern: Bürgerentscheide in Gemeinden und Landkreisen). Das Rechtsinstitut wurde nicht dazu geschaffen, unverbindliche Meinungsumfragen abzuhalten. Ein Bürgerbegehren ohne irgendwelche rechtlichen Auswirkungen ist deshalb unzulässig. Bürgerbegehren, die nur eine nachträgliche Meinungsäußerung der Bürger zu einer bereits vom Gemeinderat oder vom Kreistag entschiedenen und vollzogenen Verwaltungsmaßnahme herbeiführen wollen, sind nicht zulässig. Allein das Ziel, eine "politische Signalwirkung" herbeizuführen, reicht nicht aus. Das gilt auch dann, wenn das Bürgerbegehren eine an sich rechtlich zulässige Verwaltungsmaßnahme aus dem eigenen Wirkungskreis der Kommune betrifft.

Über die Einführung eines Schulversuchs an einer staatlichen Realschule entscheidet das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus im Benehmen mit dem den Schulaufwand tragenden Landkreis (Art. 83 Abs. 1 BayEUG i.V.m. Art. 8 Abs. 1 Nr. 3 BaySchFG). Die Stellungnahme des Landkreises im Rahmen der Herstellung des Benehmens wird im eigenen Wirkungskreis des Landkreises abgegeben; auf sie kann sich deshalb grundsätzlich ein Bürgerbegehren beziehen.

Im vorliegenden Fall wurde über die Einführung des Schulversuchs durch die Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 14. März 1997 abschließend entschieden. Diese Entscheidung ist wirksam und kann vom Beklagten nicht mit Erfolg angefochten werden, weil das Ministerium - wie in Art. 83 Abs. 1 BayEUG vorgeschrieben - das Benehmen mit dem beklagten Landkreis vorher hergestellt hatte. Einer Zustimmung des Beklagten bedurfte es nicht (vgl. dazu Amberg/Falckenberg, Müller/Stahl, Das Schulrecht in Bayern, Erläuterung 1 zu Art. 83 BayEUG). Die Entscheidung des Ministeriums über die Einführung des Schulversuchs ist abschließend und verbindlich. Sie bedarf insbesondere nicht einer fortdauernden Zustimmung des Landkreises. Auch wenn der beklagte Landkreis seine Zustimmung widerrufen würde, so würde dies die Rechtmäßigkeit und die Fortsetzung des Schulversuchs nicht beeinträchtigen.

Es ist somit festzustellen, daß die Unterschriften für das Bürgerbegehren erst zu einem Zeitpunkt eingereicht wurden, als über die Einführung des Schulversuchs bereits durch das Ministerium abschließend entschieden und die Mitwirkungshandlung des Antragsgegners abgeschlossen und "verbraucht" war. Ein Widerruf des zustimmenden Beschlusses des Kreistages wäre ohne rechtliche Auswirkung.

Der angestrebte Bürgerentscheid kann auch für die Zukunft keine Bedeutung mehr erlangen. Die Schulversuche mit der sechsstufigen Realschule wurden mit der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 14. März 1997 an den Staatlichen Realschulen E..., H... und S... für den Zeitraum der Schuljahre 1997/1998 bis 2004/2005 verbindlich eingeführt. Zumindest bis zu deren Ende wird sich dem Beklagten keine Möglichkeit mehr zu einer einschlägigen Entscheidung bieten. Heute schon Entscheidungen für den Zeitraum danach zu treffen, ist im Hinblick auf die noch unbekannte Rechtslage der Realschulen im Jahr 2005 nicht möglich.

Der angestrebte Bürgerentscheid hätte somit keinerlei rechtliche Auswirkungen und stellte lediglich eine nachträgliche Meinungsäußerung der Bürger zu einer vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus vollzogenen Verwaltungsmaßnahme dar, zu der auch der Kreistag des Beklagten angehört wurde. Die Fragestellung ist wegen Fehlens einer Sachentscheidung unzulässig.

2. Die Rechtssache weist keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

Wie ausgeführt, ist ein Bürgerbegehren nur zulässig, wenn es eine mit Ja oder Nein zu beantwortende Fragestellung enthält, die eine (Sach-)Entscheidung trifft. Bürgerentscheide, die nur eine Meinungsäußerung der Bürger zu einer abgeschlossenen Verwaltungsmaßnahme herbeiführen wollen, ohne diese noch beeinflußen zu können, sind demnach unzulässig, auch wenn sich die Initiatoren davon eine "politische Signalwirkung" erhoffen. Dies ergibt sich aus dem Namen und dem Wesen des Bürgerentscheids, d.h. aus dem Gesetz selbst.

3. Die Rechtssache hat schließlich auch keine grundsätzliche Bedeutung (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Von der Anforderung, daß durch den Bürgerentscheid eine Entscheidung mit rechtlicher Auswirkung getroffen werden muß, ist die Anforderung der Bestimmtheit der Fragestellung zu unterscheiden. Letztere bedeutet, daß die Frage so klar und eindeutig gestellt sein muß, daß die Abstimmenden erkennen können, was sie entscheiden sollen (vgl. dazu BayVGH v. 19.2.1997 VGH n.F. 50,42 = BayVBl 1997,276 = VwRR Bay 1997,75 = Kommunalpraxis 1997,110 = Die Fundstelle 1997 RdNr. 161 und BayVGH v. 29.7.1998 VwRR By 1998,325 = NVwZ RR 1999,139). Eine dritte von den beiden vorgenannten Anforderungen deutlich unterschiedene Anforderung ist die, daß Bürgerbegehren und Bürgerentscheid nicht auf Maßnahmen gerichtet sein dürfen, die in Widerspruch zur Rechtsordnung im übrigen (d.h. abgesehen vom Recht der Bürgerbegehren und Bürgerentscheide - Art. 18 a GO und Art. 24 a LKrO) stehen. Der Gemeinderat und der Kreistag sowie die Gerichte haben nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs das Recht, diese Frage zu prüfen (sogenanntes materielles Prüfungsrecht der Kommunen und der Gerichte - ständige Rechtsprechung vgl. BayVGH v. 10.11.1997 Az. 4 CE 97.3292 u.v. 10.12.1997 Az. 4 B 97.89 bis 93 = NVwZ-RR 1999,141 sowie v. 18.3.1998 BayVBl 1998,402 = VwRRBy 1998,203 = NVwZ-RR 1999,137). Die drei genannten Anforderungen ergeben sich aus dem Gesetz und sind in der Rechtsprechung anerkannt. Einer weiteren Klärung der rechtlichen Anforderungen an die Fragestellung von Bürgerbegehren durch eine mündliche Verhandlung bedarf es nicht. Die Rechtssache wirft keine Fragen auf, die im Sinne der Rechtseinheit einer Klärung bedürften.

Kostenentscheidung: § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO;

Streitwertentscheidung: § 14 und § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.