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Zulässigkeit öffentlicher Kinderspielplätze im reinen Wohngebiet

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.1985 - Az.: 3 S 405/85

Leitsätze:

1. Öffentliche Kinderspielplätze herkömmlicher Art verstoßen auch in (faktischen) reinen Wohngebieten grundsätzlich nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. (amtlicher Leitsatz)

2. Kinderspielplätze herkömmlicher Art sind solche, bei denen im wesentlichen lediglich Geräusche als Folge der natürlichen Lebensäußerung von Kindern entstehen. Sie unterscheiden sich von sogenannten Abenteuerspielplätzen, Bauspielplätzen oder Robinsonspielplätzen. (amtlicher Leitsatz)

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Volltext

Tenor

Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 18. Dezember 1984 - 8 K 282/84 - werden zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Der Streitwert für das Verfahren in beiden Rechtszügen wird unter Änderung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 18. Dezember 1984 - 8 K 282/84 - auf jeweils 14.000,- DM festgesetzt.

Tatbestand

I.

Die beigeladene Stadt beabsichtigt, auf dem Grundstück Lgb.Nr. 58685 an der xxx-Straße im Stadtteil Durlach (Gebiet "Geigersberg") einen (öffentlichen) Kinderspielplatz und ein Kleinspielfeld für Ballspiele (25 m x 16 m) anzulegen. Das Grundstück liegt im räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplans "Hanggebiet Durlach zwischen Stähler- und Rumpelweg; Änderung xxx Straße" der Beigeladenen vom 13. November 1979 und ist als "öffentliche Grünfläche; Grünanlage, Kinderspielplatz, Ballspielplatz" ausgewiesen. Es ist von Wohnbaugrundstücken umgeben, zu denen auch die Grundstücke der Antragsteller gehören.

Das Regierungspräsidium Karlsruhe, dessen Zuständigkeit infolge Einwendungen begründet wurde (§ 85 Abs. 2 LBO 1980= § 50 Abs. 2 LBO 1983), erteilte der Beigeladenen mit Baubescheid vom 13. Januar 1984 die beantragte Baugenehmigung nach Maßgabe des Lageplans vom 6. Dezember 1982 und den Geländeschnitten vom November 1982. Danach besteht der Kinderspielplatz aus folgenden Einrichtungen: Tischtennisplatz, Zweifachschaukel, Spielhaus, Karussell, Schaukelpferd, Wackelbalken, Rutsche, Balancierbalken, Kombination mit Kettensteg, Barren, Klimzugstange, Reck, Sprossenwand und Traktoren-Schwingreifen, die mit Bongossiebalken umgeben sind.

Die Antragsteller erhoben hiergegen Widersprüche, die das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Bescheid vom 9. August 1984 mit folgenden Auflagen zurückwies:

"Der Ballspielplatz darf nur von 8-20 Uhr benutzt werden. Entsprechende Schilder sind aufzustellen.

Spielberechtigt auf dem Ballspielplatz sind nur Kinder im Alter bis zu 14 Jahren. Auf diese Einschränkung ist durch ein Schild hinzuweisen.

Die Aufstellung von Fußballtoren wird nicht zugelassen."

In demselben Bescheid wurde die sofortige Vollziehung der angefochtenen Baugenehmigung mit Ausnahme des im Lageplan im nordöstlichen Bereich ausgewiesenen Kleinspielfeldes für Ballspiele angeordnet. Der Bescheid vom 9. August 1984 wurde den Bevollmächtigten der Antragsteller am 16. August 1984 zugestellt. Die Antragsteller reichten am 12. September 1984 Klagen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe ein, über die noch nicht entschieden ist. Sie leiteten am selben Tage das Aussetzungsverfahren des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ein, soweit die sofortige Vollziehung der angefochtenen Baugenehmigung angeordnet wurde. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe wies mit Beschluß vom 18. Dezember 1984 - 8 K 282/84 - ihre Aussetzungsanträge zurück. Der Beschluß wurde den Bevollmächtigten der Antragsteller am 2. Januar 1985 zugestellt.

Die Antragsteller haben am 7. Januar 1985 Beschwerden eingelegt. Sie tragen vor: Der Bebauungsplan der Beigeladenen vom 13. November 1979 sei nichtig. Er leide an einer Abwägungsfehleinschätzung, weil er nicht nur die Herstellung eines herkömmlichen Kinderspielplatzes auf dem Grundstück Lgb.Nr. ... ermögliche. Die für dieses Grundstück getroffenen Festsetzungen seien nicht hinreichend konkretisiert, weil unklar bleibe, welcher Bereich nur als Grünanlage, welcher hingegen als Kinderspielplatz und welcher als Ballspielplatz genutzt werden solle. Das Vorhaben der Beigeladenen verstoße gegen das Gebot der Rücksichtnahme, das zu ihren Gunsten nachbarschützende Wirkung entfalte. Es solle inmitten von Wohnhäusern verwirklicht werden. Die Ruhe und Erholung in den rückwärtigen Bereichen der Wohnbaugrundstücke werde erheblich beeinträchtigt. Das Vorhaben der Beigeladenen habe "überregionalen" Charakter. Es habe überdies zahlreiche lärmintensive Spielgeräte zum Inhalt. Ein Spielplatz mit wesentlich weniger Spielgeräten würde ausreichen.

Die Antragsteller beantragen,

den Beschluß des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 18. Dezember 1984 - 8 K 282/84 - zu ändern und die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 9. August 1984, soweit diese für sofort vollziehbar erklärt wurde, wiederherzustellen.

Der Antragsgegner und die Beigeladene haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten in beiden Rechtszügen sowie auf die von der Antragsgegnerin vorgelegten Bau- und Bebauungsplanakten Bezug genommen.

Gründe

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Sie ist zulässig, jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Aussetzungsanträge zurückgewiesen. Der Senat hält die Auffassung des Regierungspräsidiums Karlsruhe, das die sofortige Vollziehung angeordnet hat, und die des Verwaltungsgerichts für zutreffend, wonach das öffentliche Interesse an der sofortigen Herstellung des genehmigten Kinderspielplatzes (ohne Kleinspielfeld für Ballspiele) die privaten Belange der Antragsteller an der vorläufigen Verhinderung des Spielplatzes aus Gründen effektiven Rechtsschutzes überwiegt. Der sofortige Baubeginn kann den Antragstellern zugemutet werden, auch ohne das diese völlige Rechtsgewißheit darüber erlangt haben, ob die angefochtene Baugenehmigung auch in dem für sofort vollziehbaren Umfange Bestand haben wird oder nicht. Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen fällt entscheidend ins Gewicht, daß die Aussichten der Antragsteller, mit ihren Anfechtungsklagen durchzudringen, bei der im Aussetzungsverfahren des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotenen summarischen Betrachtung gering erscheinen. Die Wahrscheinlichkeit, daß die angefochtene Baugenehmigung zumindest in dem für sofort vollziehbar erklärten Umfang gegenüber den Angriffen der Antragsteller im Verfahren der Hauptsache Bestand haben wird, ist weitaus größer als die umgekehrte Möglichkeit. Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand zeichnet sich nichts dafür ab, daß die angefochtene Baugenehmigung im Umfange ihrer sofortigen Vollziehbarkeit Rechte der Antragsteller verletzt. Unter diesen Umständen wäre es unbillig, der Beigeladenen die rechtliche Möglichkeit des sofortigen Baubeginns vorzuenthalten.

Das Vorhaben der Beigeladenen verstößt jedenfalls in dem Umfange, in dem seine sofortige Ausführung zugelassen worden ist, nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Dieses Gebot der Rücksichtnahme gilt unabhängig davon, ob der Bebauungsplan "Hanggebiet Durlach zwischen Stähler- und Rumpelweg; Änderung Ernst-Barlach-Straße" der Beigeladenen vom 13. November 1979, namentlich die für das Baugrundstück getroffenen Festsetzungen "öffentliche Grünfläche; Grünanlage, Kinderspielplatz, Ballspielplatz", gültig oder ungültig ist. Für den Fall der Anwendung von Bebauungsplänen stellt sich § 15 Abs. 1 BauNVO 1977 als eine besondere Ausprägung des Rücksichtnahmegebotes dar; die Lage oder der Umfang eines Vorhabens, besonders aber die von einem Vorhaben ausgehenden Belästigungen oder Störungen können sich nämlich auch auf das nachbarliche Verhältnis auswirken; deswegen ist nach dieser Vorschrift insoweit Rücksicht zu nehmen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 5. August 1983, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 55 S. 29 = NJW 1984, 138 (BVerwG 05.08.1983 - 4 C 96.79) = DVBl. 1984, 143 =QÖV 1934, 295). Im Falle der Ungültigkeit des genannten Bebauungsplans ist das Gebot der Rücksichtnahme inhaltlicher Bestandteil des dann anwendbaren § 34 Abs. 1 BBauG dergestalt, daß es - in der Regel - in dem Begriff des Sicheinfügens aufgeht (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 13. März 1981, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 44 S. 4 = DVBl.1981, 928 = BRS 38 Nr. 186; BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1982, Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 89 S. 15 = NJW 1983, 2460 (BVerwG 10.12.1982 - 4 C 28/81)).

Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist; das gilt für diejenigen Ausnahmefälle, in denen - erstens - die tatsächlichen Umstände handreiflich ergeben, auf wen Rücksicht zu nehmen ist, und - zweitens - eine besondere rechtliche Schutzwürdigkeit des Betroffenen anzuerkennen ist (BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1977, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 28 S. 18 = BVerwGE 52, 122 = DVBl. 1977, 722 =DÖV 1977, 752 = NJW 1978, 62 (BVerwG 25.02.1977 - BVerwG IV C 22.75) = BRS 32 Nr. 155). Die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, sind dann gegeneinander abzuwägen (BVerwG, Urteil vom 5. August 1983, a.a.O..).

Die Beigeladene nimmt mit der Herstellung des hier umstrittenen (öffentlichen) Kinderspielplatzes eine Aufgabe war, die ihr gesetzlich obliegt (vgl. § 2 Abs. 1 des Gesetzes über Kinderspielplätze (Kinderspielplatzgesetz - KSpG) vom 6. Mai 1975 (GBl. S. 260), geändert durch Gesetz vom 4. Juli 1983 (GBl. S. 265)). Kinderspielplätze dienen der geistigen und körperlichen Entfaltung der Kinder, der Befriedigung der Spiel- und Bewegungsbedürfnisse sowie der Einübung sozialen Verhaltens (§ 1 KSpG). Daher besteht an ihrer Herstellung ein überragendes öffentliches Interesse. Folglich haben die Anlieger die von Kinderspielplätzen ihrer Widmung nach üblicherweise ausgehenden Geräusche hinzunehmen (§ 4 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 KSpG). Demnach ist es in Lehre und Rechtsprechung unumstritten, daß jedenfalls Kinderspielplätze herkömmlicher Art mit dem gerade ein reines Wohngebiet - wie hier - prägenden Element der Wohnruhe zu vereinbaren sind (BVerwG, Urteil vom 21. Juni 1974 BRS 28 Nr. 138 = BauR 1974, 330 = DVBl 1974, 777; HessVGH, Urt. vom 3. Februar 1981, BRS 38 Nr. 182 = NJW 1981, 2315; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Juni 1983, BauR 1984, 152; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10. März 1982 - 3 § 2654/81 -; Ernst-Zinkahn-Bielenberg BBauG, § 3 BauNVO RdNr. 4; Fickert/Fieseler, BauNVO, 4. Aufl. 1979, § 3 Tn 25). Kinderspielplätze herkömmlicher Art nehmen - sofern nicht etwa wegen ihrer besonderen Größe, wegen der Zahl der Spielgeräte oder wegen der Nähe des Spielplatzes zu Wohnhäusern im Einzelfalle eine andere Beurteilung Platz greifen muß - auf das Ruhebdürfnis der Anlieger ausreichend Rücksicht (vgl. § 4 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 KSpG).

Kinderspielplätze herkömmlicher Art sind solche, bei denen im wesentlichen Geräusche als Folge der natürlichen- Lebensäußerung von Kindern entstehen. Sie unterscheiden sich von sog. Abenteuer-, Bau- oder Robinsonspielplätze, auf denen die Kinder, und zwar in der Regel unter Aufsicht, handwerkliche Tätigkeiten verrichten, etwa hämmern, nageln, sägen können und mit Wasser und Feuer umgehen dürfen (vgl. dazu OVG Münster, Urteil vom 10. September 1982, NVwZ 1983, 356; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Juni 1983, a.a.O..).

Der genehmigte (öffentliche) Kinderspielplatz der Beigeladenen fällt wegen der im einzelnen zugelassenen - im übrigen der Zahl nach nicht übermäßigen - Spiel- und Turngeräte nicht aus dem Rahmen eines herkömmlichen Kinderspielplatzes. Zugelassen worden sind nämlich lediglich - in größeren Abständen und in deutlichen Abständen zu den Wohnhäusern der Antragsteller - eine Zweifachschaukel, eine Spielhaus, ein Karussell, ein Schaukelpferd, ein Wackelbalken, eine Rutsche, ein Balancierbalken, eine Kombination mit Kettensteg, ein Barren, eine Klimzugstange, ein Reck, eine Sprossenwand und ein Traktoren-Schwingreifen, der mit Bongossibalken umgeben ist. Soweit ein Tischtennisplatz mitgenehmigt worden ist, müssen sich die Antragsteller den Hinweis gefallen lassen, daß nach der Überzeugung des Senats das Auftreffen der Tennisbälle nicht mit Störungen verbunden ist, die sich spürbar auf den Wohnbaugrundstücken der Antragsteller auswirken werden. Dazu ist schon der Abstand zu den nächstgelegenen Wohnbaugrundstücken viel zu groß. Der Kinderspielplatz ist auch nicht besonders groß.

Die Kostenentscheidung, beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 159 S. 1 und 162 Abs. 3 VwGO i.V. mit § 100 Abs. 1 ZPO.

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 13 Abs. 1 S. 1 GKG i.V. mit § 5 ZPO entsprechend. Der Senat hält das (vorläufige) Abwehrinteresse der jeweiligen Antragsteller für verhältnismäßig gering und hält einen Streitwert von lediglich 2.000, -- DM, bezogen auf jeweils ein Wohnbaugrundstück, für angemessen.