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Diese Entscheidung

Teilnahme an einem Städtebündnis für weltweite Kernwaffenabrüstung ist zulässig

BVerwG, Urteil vom 14.12.1990 - Az.: 7 C 58.89

Leitsätze:
1. Internationale Städtepartnerschaften gehören zu dem durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG erfassten örtlichen Wirkungsbereich der Gemeinden. Eine solche "kommunale Außenpolitik" gehört nicht zur nach Art. 32 Abs. 1 GG dem Bund vorbehaltenen "Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten". (Leitsatz des Herausgebers)

2. Im Rahmen von Städtepartnerschaften können sich Gemeinden auch für friedenspolitische Ziele und eine allgemeine weltweite Abrüstung einsetzen, wenn insofern nicht einseitig die Verteidigungspolitik des Bundes angesprochen werden soll. (Leitsatz des Herausgebers)

3. Mit dem Beschluß, dem von den Städten Hiroshima und Nagasaki initiierten, auf weltweite Kernwaffenabrüstung abzielenden "Programm zur Förderung der Solidarität der Städte" beizutreten, bewegt sich eine Gemeinde noch im Bereich der ihr durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten Selbstverwaltung. (amtlicher Leitsatz)

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Volltext

Tenor

Die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. September 1989 und des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. November 1986, die Bescheide der Regierung von Mittelfranken vom 19. März 1985 und vom 28. Februar 1986 sowie die Widerspruchsbescheide derselben Behörde vom 1. Oktober 1985 und vom 22. Mai 1986 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Regierung von Mittelfranken beanstandete in der angefochtenen Verfügung vom 19. März 1985 im Wege der Rechtsaufsicht einen am 19. September 1984 von dem Stadtrat der klagenden Stadt F. gefaßten Beschluß, der lautet:

"Der Stadtrat nimmt vom Bericht des Oberbürgermeisters Kenntnis und stimmt dem Programm zur Förderung der Solidarität der Städte mit dem Ziel der vollständigen Abschaffung von Atomwaffen, das von den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki initiiert wurde, zu. Die Anlage ist Bestandteil des Beschlusses."

Die Anlage enthält ein von den Städten Hiroshima und Nagasaki verfaßtes "Programm zur Förderung der Solidarität der Städte mit dem Ziel der vollständigen Abschaffung von Atom-Waffen."

Zur Begründung der rechtsaufsichtlichen Beanstandung ist ausgeführt, der Stadtrat überschreite mit dem Beschluß seine auf den gemeindlichen Wirkungskreis beschränkten Kompetenzen; der Beschluß habe eine verteidigungspolitische Resolution zum Gegenstand.

In einem weiteren - durch die angefochtene Verfügung der Regierung von Mittelfranken vom 28. Februar 1986 beanstandeten - Beschluß vom 16. Oktober 1985 stimmte der Stadtrat Entschließungen der "Ersten Weltfriedenskonferenz von Bürgermeistern" am 6. August 1985 in Hiroshima und am 9. August 1985 in Nagasaki zu. Mit der Zustimmung zu diesen Beschlüssen - so die Begründung der angefochtenen Verfügung - unterstütze die Klägerin letztlich eine gegen die Bewaffnungspolitik des Bundes gerichtete Resolution.

Die Widersprüche der Klägerin gegen die Beanstandungen blieben ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklagen nach Verbindung der Verfahren abgewiesen, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung des Berufungsurteils ist ausgeführt: Das Selbstverwaltungsrecht gebe den Gemeinden die Befugnis, sich mit Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises zu befassen; das begrenze zugleich den gemeindlichen Zuständigkeitsbereich. Wo es um verteidigungspolitische Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Bundeswehr und mit dem westlichen Bündnis gehe, habe nach dem Grundgesetz der Bund die alleinige Kompetenz. Demgegenüber weise der beanstandete Beschluß des Stadtrats der Klägerin weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem Sinngehalt einen Bezug zu der Erfüllung einer gemeindlichen Aufgabe auf. Insbesondere befasse er sich nicht mit Erwachsenenbildung. Das Programm zur Förderung der Solidarität der Städte mit dem Ziel der vollständigen Abschaffung von Atomwaffen diene vielmehr dem Zweck, auf die Verteidigungspolitik der Länder Einfluß zu nehmen, die über Atomwaffen verfügten oder doch durch multilaterale Bündnisse Einwirkungsmöglichkeiten hätten. Daß dabei auch Ausstellungen organisiert würden, die - für sich genommen - dem Begriff der Erwachsenenbildung unterfallen könnten, sei nur ein entfernter Nebenzweck. Im wesentlichen solle ein Beitrag zur Friedenspolitik in Form eines Appells zur Abrüstung in Ost und West geleistet werden; angesprochen seien damit Fragen der Abrüstung und der Verteidigungspolitik. Auch bei Städtepartnerschaften mit ausländischen Städten sei zu fordern, daß sich die daraus ergebenden Außenbeziehungen auf grenzüberschreitende Angelegenheiten des gemeindlichen Wirkungskreises beschränkten und nicht den Grundsatz des bundes- und länderfreundlichen Verhaltens verletzten, nach dem bei der Ausübung eigener Kompetenzen nicht gegen die Interessen der staatlichen Gemeinschaft verstoßen werden dürfe.

Die Revision der Klägerin führt aus: Die beanstandeten Beschlüsse unterlägen nicht der Maßnahme der Staatsaufsicht. Die Mitgliedschaft im Solidaritätsprogramm werde im Verhältnis der Gleichordnung erworben; sie bewirke keine rechtlichen Bindungen; das Programm gehe nicht über Absichtserklärungen hinaus. Dem Atombewaffnungsurteil (BVerfGE 8, 122) sei die Auffassung der Vorinstanzen, nur eine konkrete Stationierungsabsicht berechtige zur Äußerung, nicht zu entnehmen. Die Gemeinde dürfe vielmehr ihre Meinung zu allen sie und die Bürger vor Ort betreffenden Fragen äußern. Das Solidaritätsprogramm diene der Friedensarbeit und betreffe nicht die Bundeswehr, die NATO und die westliche Verteidigungsstrategie. Die Bundesrepublik messe dem Programm ersichtlich eine andere Bedeutung als die Rechtsaufsichtsbehörde bei; ein Einschreiten habe sie nicht verlangt.

Der Beklagte erwidert: Die beanstandeten Beschlüsse beträfen Angelegenheiten der Verteidigung, die allein dem Bunde zugewiesen seien. Eine auf die allgemeine Abschaffung der Atomwaffen zielende Bestrebung betreffe nicht die einzelne Gemeinde und löse daher für sie kein Befassungsrecht aus. Mit der Erfüllung gemeindlicher Aufgaben habe das mit den beanstandeten Beschlüssen verfolgte Ziel, alle Atomwaffen abzuschaffen, nicht einmal am Rande zu tun.

Der Oberbundesanwalt führt aus: Die beanstandeten Beschlüsse beträfen eine hochpolitischen Frage. Die gemeindliche Verbandskompetenz werde hier noch offensichtlicher als bei den auf die Stationierung von Atomwaffen bezogenen Beschlüssen überschritten. Das generelle Plädoyer für eine umfassende Abschaffung der Kernwaffen widerspreche der unter Mitwirkung der Bundesregierung getroffenen Leitentscheidung der NATO, wonach der Abschreckungseffekt der Atomwaffen ein unverzichtbares Element vorbeugender Konfliktverhütung sei.

Gründe

Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil, das die klagabweisende Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestätigt, verletzt Bundesrecht. Die angefochtenen Verfügungen der Regierung von Mittelfranken vom 19. März 1985 und vom 28. Februar 1986 sowie die dazu ergangenen Widerspruchsbescheide derselben Behörde vom 1. Oktober 1985 und vom 22. Mai 1986 sind rechtswidrig und deshalb mit den Urteilen der Vorinstanzen aufzuheben (§ 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO).

1.

Durch die von der Regierung von Mittelfranken verfügte rechtsaufsichtliche Beanstandung der Beschlüsse des Stadtrats der Klägerin vom 19. September 1984 und vom 16. Oktober 1985 wird die Klägerin in ihrem Selbstverwaltungsrecht nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt. Die beanstandeten Beschlüsse, durch die dem von den Städten Hiroshima und Nagasaki initiierten Programm zur Förderung der Solidarität der Städte mit dem Ziel der vollständigen Abschaffung von Atomwaffen zugestimmt, das Programm zum Bestandteil der Beschlußfassung erhoben und Entschließungen der "Ersten Weltfriedenskonferenz von Bürgermeistern" am 6. August 1985 in Hiroshima und am 9. August 1985 in Nagasaki zugestimmt worden ist, halten sich entgegen der Auffassung der Vorinstanzen und der Rechtsaufsichtsbehörde im Rahmen des durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Selbstverwaltungsrechts.

2.

Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die Klägerin meint zu Recht, daß die durch ihren Beitritt zum "Programm zur Förderung der Solidarität der Städte mit dem Ziel der vollständigen Abschaffung von Atomwaffen" - im folgenden: Programm zur Förderung der Solidarität der Städte - begründete internationale Städtepartnerschaft zu den Angelegenheiten ihrer örtlichen Gemeinschaft zählt.

Der Anerkennung internationaler Partnerschaften als Angelegenheiten des durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG erfaßten örtlichen Wirkungsbereichs der Gemeinde steht nicht entgegen, daß eine internationale Städtepartnerschaft von der Natur der Sache her grenzüberschreitend wirkt, örtliche Aufgaben werden auch sonst nicht allein dadurch zu überörtlichen, daß die Gemeinde sie in Zusammenarbeit mit einer anderen Gemeinde erfüllt. Die internationale Städtepartnerschaft der Gemeinden gibt vielmehr auf kommunaler Ebene den institutionellen Rahmen für eine Begegnung von Gemeindebürgern mit Menschen anderer Staaten ab; es ist kennzeichnend für sie, daß sie einem bürgerschaftlichen Austausch unter den beiderseitigen Gemeindebewohnern dient. Das mit den internationalen Städtepartnerschaftsverhältnissen zwangsläufig verbundene "transnationale", eine Beschränkung auf das Gemeindegebiet durchbrechende Element ist mithin als zulässig und staatspolitisch wertvoll anzusehen (Blumenwitz in Festschrift für von Unruh, S. 747 <759>). Im Mittelpunkt der städtepartnerschaftlichen Beziehungen stehen Aktivitäten der jeweiligen Gemeindebürger, die der Pflege und Förderung gemeinsamer Interessen und Lebensbedürfnisse in den verschiedensten Lebensbereichen dienen. Das Institut der internationalen Städtepartnerschaft eröffnet damit den Gemeinden ein neues, von ihnen als Aufgabe der Selbstverwaltung wahrzunehmendes Betätigungsfeld.

3.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs usurpiert die Klägerin durch ihre Beschlüsse zum Programm zur Förderung der Solidarität der Städte auch kein die Grenzen ihres Selbstverwaltungsrechts überschreitendes allgemeines politisches Mandat. Der Verwaltungsgerichtshof folgert dies zu Unrecht aus dem Inhalt des Programms, das er als einen Beitrag zur Friedenspolitik in Form eines Appells zur Abrüstung in Ost und West würdigt. Er meint, weil hierdurch letztendlich Fragen der Abrüstung und der Verteidigungspolitik angesprochen seien, bemächtige sich die Klägerin eines allgemeinpolitischen, außerhalb ihres gemeindlichen Wirkungskreises liegenden Gegenstands.

Ein solcher Schluß läßt zum einen den für die rechtliche Würdigung des Programms zur Förderung der Solidarität der Städte - als Grundlage der zu beurteilenden internationalen Städtepartnerschaft - wesentlichen Gesichtspunkt außer acht, daß das Programm mit dem vom Verwaltungsgerichtshof festgestellten friedenspolitischen Anliegen die Zielsetzung einer friedlichen Völkerverständigung verfolgt. Ein solches Anliegen entspricht den Zielvorgaben des Grundgesetzes, das in seiner Präambel das Bekenntnis des deutschen Volkes enthält, "in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen". Der Gedanke der Völkerverständigung genießt sogar ausdrücklich, und zwar in Art. 9 Abs. 2 GG ("Vereinigungen, ... die sich ... gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten") niedergelegten verfassungsrechtlichen Schutz. Gesehen zusammen mit Art. 24 Abs. 2 GG, der die Wahrung des Friedens im Bereich der zwischenstaatlichen Beziehungen des Bundes betrifft, gewinnt so die Friedenspolitik die Bedeutung eines verfassungsrechtlich anerkannten und geschützten Werts. Schon aus Gründen der Einheit der Verfassung kann dies nicht ohne Einfluß auch auf den Umfang des verfassungsrechtlich verbürgten Rechts der gemeindlichen Selbstverwaltung sein. Die friedenspolitische Programmatik einer Städtepartnerschaft macht den Beitritt zu einer solchen Städtepartnerschaft darum nicht bereits deshalb unzulässig, weil Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG der Gemeinde ansonsten die Betätigung in allgemeinpolitischen Bereichen verwehrt.

Zum anderen will sich das vom Verwaltungsgerichtshof festgestellte Programm zur Förderung der Solidarität der Städte als ein Mittel zur Werbung für eine Abrüstung der Kernwaffen in Ost und West verstanden wissen. Das schließt eine einseitig die Verteidigungspolitik des Bundes ansprechende Zielrichtung aus. Es ist Wesensmerkmal des politischen Meinungsstreits, daß die Beteiligten den Gegenstand ihres Streits politisch unterschiedlich bewerten und insoweit Gegensätze ausgetragen werden müssen. Gerade hieran fehlt es jedoch bei der Forderung nach weltumspannender Abrüstung, die als solche unumstritten ist. Die Klägerin mischt sich schon deshalb mit dem Beitritt zum Programm zur Förderung der Solidarität der Städte nicht unzulässig in die den Gemeinden verschlossene Verteidigungspolitik ein. Schließlich geben auch die Mittel, derer sich die Städtepartner nach dem Programm zur Verfolgung ihrer Absicht bedienen (Austausch von Botschaften, von Material, Büchern und anderen Publikationen; Vorbereitung einer Konferenz der Bürgermeister der Mitgliedstädte in Nagasaki und Hiroshima, deren Ergebnis in einer Sondersitzung der Vereinten Nationen vorgetragen werden soll), keinen Anlaß zu einer abweichenden Beurteilung.

4.

Art. 32 Abs. 1 GG, der die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten zur Sache des Bundes macht, schließt die dem Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gegebene Auslegung durch den erkennenden Senat nicht aus. "Kommunale Außenpolitik", wie sie sich in internationalen Städtepartnerschaften vollzieht, wird nach allgemeiner Ansicht nicht von der auswärtigen Gewalt umfaßt (vgl. den im Berufungsurteil erwähnten Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, BT-Drucks. 7/5924, S. 232).

5.

Die Beschlüsse der Ersten Weltfriedenskonferenz von Bürgermeistern am 6./9. August 1985 in Hiroshima und Nagasaki wurden in Ausführung des Programms zur Förderung der Solidarität der Städte gefaßt. Die Bewertung des Programms als einer den politischen Meinungsstreit übergreifenden internationalen Abrüstungsinitiative auf dem Gebiet der atomaren Bewaffnung gilt mit Blick auf den festgestellten Inhalt dieser Beschlüsse auch für sie. Der diese Beschlüsse billigende Beschluß des Stadtrats der Klägerin vom 16. Oktober 1985 wird deshalb wie der Beitrittsbeschluß selbst durch das Selbstverwaltungsrecht des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG als Rechtsgrundlage getragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.