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Einordnung von Straßenmusik als Sondernutzung ist verfassungsgemäß

BVerwG, Beschluss vom 19.12.1986 - Az.: 7 B 144/86

Leitsätze:

Die Qualifizierung der Veranstaltung von Straßenmusik in Fußgängerzonen als erlaubnisbedürftige Sondernutzung ist mit Bundesrecht, insbesondere mit der Garantie der Kunstfreiheit in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar. (amtlicher Leitsatz)

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Fortgang des Verfahrens: Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen durch BVerfG, Beschluss vom 20.5.1987, 1 BvR 386/87

Volltext

Tatbestand

Der Kläger bestreitet seinen Lebensunterhalt durch Straßenmusik (Gitarre und Gesang). Er wendet sich gegen ein "Merkblatt für Straßenmusikanten" der beklagten Stadt Freiburg/Breisgau, in dem diese für den Bereich der innerstädtischen Fußgängerzone Regeln über die Duldung von Straßenmusik bezüglich der Art der Instrumente, der Tageszeiten und Standorte sowie der Dauer der einzelnen Musikdarbietungen aufgestellt hat. Der Kläger hält diese Regelungen für rechtswidrig, weil die von ihm praktizierte Form des Straßenmusizierens in einer Fußgängerzone zum Gemeingebrauch gehöre. Seine Klage, mit der er gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Merkblattes und die weitere Feststellung begehrt, daß er berechtigt sei, in der Innenstadt von Freiburg ohne Sondernutzungserlaubnis zu musizieren, wurde in den Vorinstanzen abgewiesen. Auch seine Beschwerde, mit der er die Zulassung der Revision erstrebt, muss ohne Erfolg bleiben.

Gründe

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Das Berufungsgericht vertritt in Auslegung und Anwendung der §§ 15 Abs. 1, 18 Abs. 1 Satz 1 des Straßengesetzes für Baden-Württemberg (StrG) vom 20. März 1964 (GBl. S. 127) die Ansicht, die an die Allgemeinheit gerichtete Darbietung von Straßenmusik im Fußgängerbereich gehe über den Gemeingebrauch hinaus und sei deshalb eine erlaubnisbedürftige Sondernutzung, und zwar auch dann, wenn man im Anschluss an neuere Auffassungen der öffentlichen Straße neben ihrem primären Verkehrszweck eine "kommunikative" Funktion beimesse. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Beschwerde könnten, weil es sich um Fragen des nichtrevisiblen Landesstraßenrechtes handelt, in einem Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, § 173 VwGO i.V.m. §§ 562, 549 ZPO), so dass schon deshalb eine Zulassung der Revision nicht in Betracht kommt. Einen auch für das landesrechtliche Straßen- und Wegerecht maßgebenden allgemeinen bundesrechtlichen Begriff des Gemeingebrauches gibt es nicht. Vielmehr ist der Gemeingebrauch an Straßen, die nicht Bundesfernstraßen sind (§ 7 Abs. 1 FStrG), bundesrechtlich nur insoweit geregelt, als der Gemeingebrauch in seinem Kern von der grundrechtlichen Gewährleistung der Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG erfasst wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.09.1968 - BVerwG 4 C 195.65 -, BVerwGE 30, 235, 238). Insoweit macht die Beschwerde jedoch keine Zulassungsgründe geltend.

Ebenfalls auf nichtrevisibles Landesrecht bezieht sich die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob nichtverkehrsspezifische Straßennutzungen überhaupt mit den Mitteln des Straßenrechtes, insbesondere mit einem präventiven Erlaubnisverfahren geregelt werden können oder ob nicht das Problem der durch Straßenmusikanten möglicherweise hervorgerufenen Verkehrsgefährdungen allein mit den Mitteln des allgemeinen Polizeirechts gelöst werden dürfe. Das gleiche gilt für die Frage, ob die Auffassung des Berufungsgerichtes rechtlich haltbar ist, das als Allgemeinverfügung zu qualifizierende "Merkblatt für Straßenmusikanten" regele die polizeirechtliche Duldung eines an sich unzulässigen, ohne Sondernutzungserlaubnis erfolgenden Musizierens. Das Berufungsurteil stützt diese Rechtsauffassung allein auf die nichtrevisible polizeiliche Generalklausel (§§ 1 und 3 des Polizeigesetzes für Baden-Württemberg) in Verbindung mit dem Landesstraßengesetz.

Die Rechtssache gewinnt auch nicht durch die von der Beschwerde gestellte Frage grundsätzliche Bedeutung, ob die von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistete Freiheit der Kunst durch die bei der Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen zu treffenden Ermessensentscheidungen eingeschränkt werden darf und ob in einem Bereich, in dem es um den Ausgleich verschiedener Grundrechtspositionen geht, überhaupt eine nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu treffende Ermessensentscheidung zulässig sein kann. Dabei kann, wovon stillschweigend auch das Berufungsgericht ausgeht, zugunsten des Klägers im Hinblick auf den gebotenen weiten Kunstbegriff (vgl. dazu BVerfGE 67, 213, 224 f.) angenommen werden, dass dieser sich mit seiner Betätigung im Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG bewegt.

Die von der Beschwerde im Zusammenhang mit diesem Grundrecht angesprochenen Rechtsfragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch hinreichend geklärt und übrigens vom Berufungsgericht auch zutreffend unter Heranziehung dieser Rechtsprechung behandelt worden. So hat der beschließende Senat in seinem Beschluss vom 07.01.1981 - BVerwG 7 B 179.80 - DÖV 1981, 342 (dazu BVerfG - Vorprüfungsausschuss - Beschluss vom 19.06.1981 - 1 BvR 183/81 -) im Anschluss an sein das Grundrecht der freien Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG betreffendes Urteil vom 07.06.1978 - BVerwG 7 C 5.78 - (BVerwGE 56, 63, 67 f.) näher dargelegt, dass Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG der Anwendung von Vorschriften nicht entgegensteht, welche die Sondernutzung öffentlicher Straßen auch zur Ausübung der Kunst einer Erlaubnispflicht unterwerfen. Auszugehen ist dabei von den Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht zur Lösung von Konflikten zwischen der Kunstfreiheitsgarantie und anderen verfassungsrechtlich geschützten Bereichen aufgestellt hat (vgl. BVerfGE 30, 173, 188 ff.; 33, 52, 71; 67, 213, 224 ff.). Danach ist die Kunst in ihrer Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit zwar ohne gesetzlichen Vorbehalt gewährleistet. Andererseits ist dieses Freiheitsrecht nicht schrankenlos eingeräumt, sondern findet seine Grenze in anderen, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Positionen, insbesondere den Grundrechten anderer Personen. Dies sind in Fällen wie dem vorliegenden der störungsfreie Gemeingebrauch (einschließlich des Anliegergebrauchs) der öffentlichen Straßen und die Sicherheit des Straßenverkehrs, die, wie dargelegt, in ihrem Kern durch die Grundrechte der Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG gewährleistet sind. Der hohe Wert dieser geschützten Rechtsgüter rechtfertigt es unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit des staatlichen Handelns, dass zu ihrem Schutz ein behördliches Kontrollverfahren eingeführt wird, dem im Hinblick auf die unterschiedlichen Interessen eine Verteilungs- und Ausgleichsfunktion (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.08.1980 - BVerwG 7 B 155.79 -, NJW 1981, 472) für das knappe Gut "öffentliche Straße" zukommt. Eine derartige Konfliktlage kann typischerweise auch bei der Darbietung von Straßenmusik entstehen, selbst wenn es sich wie beim Kläger nur um einen einzeln auftretenden Musiker handelt.

Von diesem in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärten, mit der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 19.06.1981 - 1 BvR 183/81 - übereinstimmenden Ausgangspunkt her ergibt sich ohne weiteres und bedarf nicht erst einer näheren Prüfung im Revisionsverfahren, dass bei der Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für die Veranstaltung von Straßenmusik die Feststellung drohender Grundrechtsverletzungen und der etwa notwendig werdende Ausgleich zwischen den geschützten Rechtspositionen der Passanten, der Anlieger und der Straßenkünstler nicht nach reinen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten erfolgen darf. Dies hat das Berufungsgericht im übrigen auch nicht behauptet. Die von der Beschwerde offenbar gemeinten Ausführungen beziehen sich vielmehr auf das anders geartete Ermessen im Rahmen der Duldung nach der polizeirechtlichen Generalklausel. Bei der Ermessensentscheidung über die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis sind dagegen die miteinander kollidierenden Grundrechtspositionen in einen gerechten Ausgleich nach dem Maß der jeweiligen Betroffenheiten zu bringen, was im Einzelfall auch zu einer Ermessensreduzierung zugunsten der Kunstfreiheit führen mag.

Auch im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG, auf den sich die Beschwerde gleichfalls bezieht, ergeben sich keine im vorliegenden Fall klärungsbedürftigen grundsätzlichen Rechtsfragen. Der Senat hat bereits ausgesprochen, dass die Vorschriften der Straßengesetze über die Sondernutzungserlaubnis eine zulässige gesetzliche Schranke der Freiheit der Berufsausübung bilden (vgl. Urteil vom 26.06.1970 - BVerwG 7 C 77.68 -, BVerwGE 35, 326, 332).

2. Die Revision kann ferner nicht wegen der von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zugelassen werden.

Mit der Rüge, das Berufungsgericht habe Denkgesetze verletzt, kann ein Verfahrensmangel nicht begründet werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 21.09.1982 - BVerwG 2 B 12.82 -, NJW 1983, 62, 63 m.w.N.) sind derartige Angriffe revisionsrechtlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen. Davon abgesehen liegt der behauptete Verstoß gegen die Denkgesetze nicht vor. Die vom Berufungsgericht getroffene Feststellung, die beklagte Stadt habe das ihr durch die polizeiliche Generalklausel eingeräumte weite Ermessen mit der im Merkblatt getroffenen Regelung fehlerfrei ausgeübt, steht nicht in einem denkgesetzlichen Widerspruch zu der Tatsache, dass die Beklagte nach ihrer subjektiven Vorstellung keine nach außen rechtsverbindliche Regelung hat treffen wollen. Denn die Beklagte hat sich nach der vom Berufungsgericht vorgenommenen Auslegung des Merkblattes lediglich über die rechtliche Außenwirkung seiner Duldungsregelungen unzutreffende Vorstellungen gemacht, während sie im übrigen die Regelungen durchaus bewusst im Sinne eines möglichst gerechten Interessenausgleichs getroffen hat. Dies lässt ihre Qualifizierung als Ermessenserwägungen im Rahmen einer Allgemeinverfügung ohne einen denkgesetzlichen Verstoß zu.

Die geltend gemachten Aufklärungsmängel (§ 86 Abs. 1 VwGO) sind dem Berufungsgericht nicht unterlaufen. Die in der Berufungsbegründungsschrift des Klägers vom 15. Oktober 1985 (S. 5) enthaltene Anregung, den Mitarbeiter des Südwestfunks ... als Zeugen zu hören, bezog sich lediglich auf das enge und insofern nicht entscheidungserhebliche Beweisthema, ob die Geschäftsinhaber im Raum Rathausplatz/Rathausgasse/Einmündung Rathausgasse - Kaiser-Joseph-Straße gegen Straßenmusik etwas einzuwenden haben, und betraf nicht die im Berufungsurteil auf S. 14 angesprochene viel umfassendere Frage, ob sich im Gemeindegebiet der Beklagten eine Verkehrsanschauung gebildet hat, nach welcher Straßenmusik dem Gemeingebrauch an öffentlichen Straßen unterfällt. Das Berufungsgericht brauchte deshalb der Beweisanregung nicht weiter nachzugehen. Die Rüge, das Berufungsgericht habe eine Beweiserhebung darüber unterlassen, ob überhaupt Grundrechtskollisionen an den im Merkblatt aufgeführten Stellen drohten, erfüllt nicht die Darlegungserfordernisse des § 132 Abs. 3 Satz 3 VwGO. So fehlt insbesondere die Darlegung, welche Beweismittel hierfür in Betracht gekommen wären, welches Ergebnis die unterbliebene Beweisaufnahme gehabt hätte und inwiefern dieses Ergebnis zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können. Das gleiche gilt für die Rüge auf S. 17 der Beschwerdeschrift.

(...)